Die Gutachterin
…
Das Cabrio-Verdeck war geschlossen, aber die Tür ging sofort auf, und heraus schob sich die lange, mit Jeans und einer hocheleganten, gelben Windjacke angetane Gestalt des Oberstaatsanwalts Richard Saynfeldt.
Isa konnte nicht zurück, die Tür hinter ihr war ins Schloß gefallen. Er kam ihr auch nicht entgegen, er lehnte an seinem Porsche, die Hände in den Taschen, und grinste sie an.
»Welch ein Zufall, nicht wahr?«
»Darauf«, sagte sie erbittert, »könnte ich verzichten.«
»Aber wieso denn, Isa? Du brauchst doch ein Taxi. Ich habe mich umgeschaut, dein Wagen steht nirgends.«
»Richard«, sie holte tief Luft, »laß uns eines klarstellen …«
»Wir werden jetzt gar nichts klarstellen, Isa. Wir werden zum ›Roma‹ fahren, uns hinsetzen, irgend etwas futtern und einen Kaffee trinken. – Was hältst du davon?«
Ihr fiel nichts ein. Es gab keine Kriegserklärung, sie hatten nicht einmal Krach, es gab nichts anderes als dieses Gefühl der Sättigung: Wie in einer chemischen Lösung war der Punkt erreicht, wo sich die Elemente wieder zu scheiden begannen.
Was hatte sie mit ihm noch zu tun?
»Nun komm schon.«
Seine Hand war weich und glatt, sein Blick hatte nichts Überhebliches wie so oft, und sein »ach, meine Isabella« war nur ein Seufzen, und die Bewegung, mit der er ihr über das Haar strich, so leicht wie ein Vogelflügel.
Sie war auf der Hut. Doch sie stieg ein.
Das ›Roma‹ war sein Lieblingscafé. Das wurde es notgedrungen, nachdem er zu Beginn ihrer Beziehung stets auf der Suche nach diskreten Treffs außerhalb seines beruflichen und persönlichen Umfelds in diesem kleinen italienischen Hinterhofladen in der Nähe der Hauptwache gelandet war. Das ›Roma‹ wurde von jungen Malern, Grafikern und Werbegenies mit ihren Mädchen besucht – auch von Models oder solchen, die sich dafür hielten … Schnell kamen Yuppie-Banker nebst Anhang dazu, bald auch Anwälte, und schon war's mit der totalen Diskretion vorbei. Doch zu diesem Zeitpunkt scherte Richard das bereits weniger.
»Dein Schweigen riecht ein bißchen nach Kriegserklärung, findest du nicht?«
»Bisher war das deine Spezialität.«
»Ich will mich ja nur entspannen. Das habe ich heute verdient. Und dich will ich vor mir sehen und wieder mal bei mir haben.«
Wieder mal, dachte sie … Du wirst dich wundern.
»Außerdem hätte ich dir noch einiges mitzuteilen, das ganz interessant ist.«
»Da brauchen wir doch nicht ins ›Roma‹.«
Aber sie waren bereits angelangt. ›La Roma‹ stand in schwungvollen grünen Buchstaben auf weißem Grund. Unter dem Schild befand sich der Durchgang zum Hof. Über den Dächern stand ein hoher blauer Himmel, und warm war es auch.
Er parkte den Wagen und stieg aus. Salopp warf er sich die hellgelbe Windjacke über die Schulter, breitete beide Arme aus und stand da; mit offenem Kragenknopf und heruntergerutschter Krawatte strahlte er, wie nur ein Richard Saynfeldt strahlen konnte.
»Schau mich an, Isa. Ich bin zu haben. Ich bin wieder auf dem Markt. So wie's aussieht, wenigstens … Meine Frau ist ab und weg … Und da ich nicht in dem leeren Röder-Kasten von Haus rumsitzen will, bin ich in die Stadt geflüchtet. – Wie findest du das?«
Sie fand gar nichts. Sie war nur über etwas erstaunt: daß seine Mitteilung in ihr nicht die geringste Reaktion auszulösen vermochte. Und in der Sekunde, als sie sich dessen bewußt wurde, war sie sich auch im klaren darüber, wie weit sie sich von ihm entfernt hatte und wie gründlich Gefühle sterben können. Sie erschrak beinahe darüber.
Das idiotische Telefon … Warum nur hatte sie so seinen Anruf erwartet? Sie wußte es nicht mehr …
* * *
»Reuter«, sagte die Stimme am Telefon. »Frau Dr. Reinhard? Ich kann nur hoffen, daß ich Sie im Moment nicht störe.«
Eine gelassene, eine sehr gelassene Stimme, eine Stimme, die als Selbstverständlichkeit voraussetzte, daß man sie einfach erkennen mußte.
»Tut mir leid, ich habe im Moment wirklich keine Ahnung …«
»Ach ja? – Nun, ist ja schon 'ne ganze Zeit her. Oktober, letzter Oktober war das, im Palmengarten. Und für mich stellten Sie den einzigen Lichtblick dar. Sie sahen hinreißend aus, Sie trugen ein schwarzes Kleid mit roten Blumen …«
Reuter? – Natürlich … Mit einem kurzen Stromstoß, als habe sich ein elektrisches Relais geöffnet, flogen die Bilder der Erinnerung heran: Reuter, Professor Reuter sogar … Gastdozent an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität und einer
Weitere Kostenlose Bücher