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Die Gutachterin

Die Gutachterin

Titel: Die Gutachterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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den Deckel des Buches zu, in dem er gerade gelesen hatte. Es trug den Titel ›Sexuelle Gewalt gegen Kinder‹.
    Unschlüssig verließ er sein Zimmer. Die Pension ›Grüneck‹ besaß achtzehn, zur Hälfte standen sie dem US-Personal der Frankfurt-Airbase, zur anderen dem Polizeipräsidium zur Verfügung.
    »Auf Wiedersehn, Herr Kommissar!« Die dicke Mami, die in einer Ecke des Empfangs ständig an einem Pulli strickte, wedelte mit ihrer gepolsterten Hand. »Passen Sie auf sich auf.«
    »Aber natürlich, Frau Goldberg.«
    Sie stammte aus Tel Aviv, ihr Personal kam aus Istanbul, Anatolien oder sonstwo, und der ›Italiener‹ lag gleich um die Ecke. Berling dachte an Saltimbocca oder an einen ordentlichen Teller Pasta, aber der Magen wollte nicht, und so beließ er es bei drei dieser komischen Trapezbrötchen, die sie ihm in einen Karton verpackten. Er nahm noch eine Flasche Coca-Cola und ging zurück zu seiner Aussicht auf die tropfenden Kastanienblätter, schluckte zwei Aspirin mit Cola hinunter und sah wieder auf den Notizblock:
    Tätertypen?
    Die alte Preisfrage.
    Mörder kann jeder sein. Wirklich? Nun, der eine weniger, der andere mehr – aber was macht den Menschen dazu, was veranlaßt Kain, den Abel zu erschlagen? Ist es die Veranlagung, ist es Umgebung und Lebenslauf, die berühmte ›Entwicklungs- und Umweltprägung‹? – Auf der Polizeiakademie hatten sie darüber diskutiert, dann kamen die Spezialisten dazu, die Superschlauen, die sie mit ihren Fachausdrücken und ihrem Psycho-Rotwelsch eindeckten. Eines stand fest: Den Mörder konnte man nicht ausmachen wie eine besonders gefährliche Haifischart, er ging in Tarnung, hatte so viele Gesichter. Da war der Siebzehnjährige, der dir sagt: »Ich war einfach nicht gut drauf, hab' mich gelangweilt und brauchte die Kohle. Da hab' ich der Oma den Schädel eingeschlagen … Wirklich, tut mir ehrlich leid … Kam einfach so über mich …«
    Und war todtraurig, der Typ.
    Da gab's die anderen, so unfaßbar wie Schatten im Wind: die liebende Ehefrau mit dem Messer, der Profi, der hinter irgendeinen Stuhl tritt, die Kanone zieht und das Opfer mit Genickschuß abserviert. »War doch saubere Arbeit«, sagt er zu dir bei der Vernehmung. »Ihr wißt doch, wie so was läuft …«
    Niemand wußte es.
    Doch stets ging es um das gleiche: Charakterstruktur plus auslösendem Faktor. Womit wir bei der Endstation angelangt wären, dachte er, dem allermiesesten Typ: dem Trieb-, dem Sexualtäter.
    47.132 Sexualstraftaten, in Worten siebenundvierzigtausendeinhundertzweiunddreißig, wurden im vergangen Jahr bekannt. Darunter dreizehn Sexualmorde, zwei davon an Kindern begangen, elfmal wurden Sexualmorde versucht … Und wieder befanden sich zwei Kinderopfer darunter, wie überhaupt zwei Drittel der gesamten Straftatendelikte Kinder unter vierzehn Jahren betrafen – begangen im engen sozialen Umfeld, dort, wo man so schön vom ›häuslichen Milieu‹ spricht.
    ›Sexueller Mißbrauch‹, schreiben sie dann in die Berichtsstatistik. Noch so ein wunderbares Wort, dachte er, als ob es über die Schwere der Tat, über die Brutalität der angewandten Gewalt und ihre lebenslänglichen Folgen auch nur irgend etwas aussagen würde … Okay, den Exhibitionisten, der irgendwo in einem Park oder an der Straßenbahnendstation den Mantel öffnet und dann wieder in der Nacht verschwindet, kann man vergessen. Aber all die anderen? Sexueller Mißbrauch? Mami im Krankenhaus und der besoffene Papi, der sein ›Zuckerpüppchen‹ im Ehebett vergewaltigt; der Onkel, der dem kleinen Neffen im Hobbykeller die Hose runterreißt, stets ist es dasselbe: die hundsgemeine Kaltschnäuzigkeit, mit der Erwachsene ›zur Triebabfuhr‹ ihre Macht über Kinder mißbrauchen.
    Dies, dachte Berling, ist das Jahr, in dem Evi, Kim und Natalie und all die anderen, die du nicht kennst, sterben mußten …
    Eingemauert, dachte er, eingemauert hatte sie Dutroux, und sie lagen dort mit von Durst und Fieber geschütteltem Körper, sie lagen, und das Fleisch schmolz von ihren Knochen, sie schrien und wimmerten und haben an den Backsteinen gekratzt, während ihre jungen Körper austrockneten und endlich alles Leben aus ihnen wich. Unterdessen verhandelte dieser, dieses … wie willst du für so etwas wie Dutroux schon einen Namen finden – verhandelte dieser Kerl mit irgendwelchen Dreckschweinen von Frischfleischfans über den Preis der Videos, die er von den geschändeten Kindern im Keller gemacht hatte.
    Nun such dir

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