Die Gutachterin
Sie hören, was ich sage?«
Die Bewegung mit dem Kopf war so unmerklich, daß man sie kaum wahrnehmen konnte, aber es schien ihr, als habe er genickt. – Die verdammte Scheibe! dachte sie. Die Situation ist völlig unhaltbar … Jede erfolgreiche therapeutische Arbeit beruhte auf einer einzigen Grundlage: eine persönliche Beziehung, den sogenannten ›Rapport‹ mit dem Klienten aufzubauen. Sie hatte das dem Anstaltsleiter gesagt, als sie in Preungesheim anrief. Die Möglichkeit war ihr zugesichert worden – und nun … Noch dazu öffnete sich die zweite Tür, die zu Ladowskys Seite des Zimmers führte, und der Beamte, der sie hergebracht hatte, kam herein und lehnte sich mit lässig verschränkten Armen gegen die Wand. Er war jung, kräftig, braungebrannt und tat so, als existiere außer ihm nichts im Raum.
Sie erhob sich und wandte sich dem Mann in der Uniform zu: »Kann ich mal mit Ihnen sprechen?«
»Wieso?«
Sie brachte ihren Kopf dicht an die Sprechlöcher, Ladowsky wich zurück. Seine Mädchenwimpern begannen zu zittern. Er schien erschrocken oder verwirrt.
»Und zwar alleine.«
»Gibt's Probleme?«
»Ja«, sagte sie, »einige.«
Der Beamte zuckte mit den Schultern, sah Ladowsky an, dann sie und verschwand durch die Tür; gleich darauf vernahm sie das vertraute Schlüsselgeräusch hinter sich. Da war er. Sie trat auf den Korridor. »Sie haben doch unbeschränkte Besuchszeit«, sagte der Beamte. »Was ist denn?«
»Was ist …? Ich bekam die Zusicherung, mich mit dem Gefangenen als Therapeutin unterhalten zu können, und das bedeutet unter vier Augen. Falls das nicht geht, kann ich gleich wieder verschwinden. Darüber möchte ich mit dem Anstaltsleiter reden.«
»Geht nicht. Und ich bin hier zu Ihrer Sicherheit.«
»Und ob das geht! Sonst werde ich mit einer Beschwerde gegen Sie persönlich vorgehen.«
Es wirkte. Er drehte sich um, verschwand in einem Nebenraum und stand eine Minute später bereits wieder vor ihr. »Kommen Sie«, sagte er.
Bei dem Raum, in den Isabella nun geführt wurde, schien es sich um ein Büro zu handeln. Ein Schreibtisch, zwei Stühle, das war die Einrichtung. Eine Trennscheibe gab es nicht.
»Ich werde Ladowsky jetzt holen«, sagte der Beamte. »Doch damit das gleich klar ist: Wenn Sie darauf bestehen, mit ihm allein zu sprechen, geht das auf Ihre eigene Verantwortung. Und Sie werden uns das schriftlich bestätigen.«
»Aber sicher.«
Sie wußte, daß Anwälte ohne Aufsicht und Anwesenheit eines Beamten mit ihren Mandanten verhandeln konnten. Warum also nicht auch sie?
Von draußen näherten sich Schritte. Die Tür ging auf, und da kamen sie. Der Vollzugsbeamte hielt den Gefangenen am Arm, als erwarte er jede Sekunde, daß er sich auf sie stürzen und sie vergewaltigen würde.
Ladowsky setzte sich. Sie unterschrieb den Zettel, den der Beamte ihr hinhielt, die Tür klappte zu, und endlich waren sie allein …
Er hielt den Kopf gesenkt, die Finger verschlungen; sie betrachtete sie. Er hatte langgliedrige, sensible, beinahe zarte Hände – Mörderhände.
»Herr Ladowsky«, begann sie, »Sie hatten ja schon nach Ihrer ersten Verhaftung mit einem Psychiater zu tun, wissen also, worum es geht. Sie kennen auch die Art der Fragen, die ich an Sie stellen werde. Ich möchte versuchen, nein, wir beide sollten gemeinsam versuchen, aufzuklären, was eigentlich geschehen ist. Nicht die Tat selbst – sondern ihre Hintergründe.«
Sie sprach langsam wie zu einem Hilfsschüler und betrachtete dabei das Oval seines Kopfes und die dunklen, kurzen Locken, die ihn bedeckten. Ob es die richtigen Worte waren? Schön, jede Einleitung war jetzt gut genug.
Seine Schultern waren vornübergebeugt, die Ellbogen auf die Tischplatte gestemmt. Nun verkrampfte sich der ganze Körper noch mehr als bisher.
»Ich hab' damit nichts zu tun … Nicht so, wie ihr meint.«
»Herr Ladowsky, das haben Sie auch schon Professor Reuter gesagt, Ihrem Verteidiger. Und sicher allen anderen auch. Aber darum geht es nicht, wenigstens nicht im Augenblick. Ich werde jetzt versuchen …«
Es war das erstemal, daß er den Kopf hochnahm: »Sie?« Er sah sie an. Diese Augen! »Sie … Sie …« Er holte Luft. »Sie?« wiederholte er.
Sie versuchte, dem Blick standzuhalten, obwohl sie ihn kaum ertrug.
»Sie … Sie werden das nie verstehen …« Seine Stimme war leise, und doch wirkte sie plötzlich klarer als vorher. »Die haben mich geholt, als die Fernsehsendung losging. Und dann hat man mir gesagt, daß Sie
Weitere Kostenlose Bücher