Die Gutachterin
es wären, die meine Mutter aus dem brennenden Haus gezogen hat. Und daß Sie zufällig bei meiner Mutter gewesen seien, um sie zu befragen … Ich … ich hab' das nicht geglaubt.«
»Was haben Sie nicht geglaubt?«
»Sie sind der Mensch, der meine Mutter rausgeholt hat? Ich glaub's auch jetzt nicht. – Ist das so?«
Sie gab keine Antwort, öffnete stumm ihre rechte Blusenmanschette, streifte den Ärmel zurück und zeigte ihm den Verband.
Er beugte sich noch weiter über den Tisch und hob halb die Hand, als wolle er ihn berühren. Seine Lippen zitterten. Nun sackte die Unterlippe leicht herab, als könne sie die Spannung nicht mehr ertragen. Seine Augen füllten sich mit Tränen.
»Ludwig …« Sie nannte ihn beim Vornamen, warum auch nicht. »Wir wollten doch über etwas anderes reden. Es geht um Ihre Verteidigung.«
»Wenn ich das schon höre – Verteidigung. Das kotzt mich an … Ich will über Sie reden … Bitte, zeigen Sie mir Ihre Hand.«
»Warum?«
»Das darf ich doch? Ich kann doch Ihre Hand sehen?«
Es lag soviel Flehen und soviel beschwörende Verzweiflung im Ausdruck seines Gesichtes, daß sie spürte, wie ihr die berufliche Sicherheit abhanden zu kommen drohte. Und die brauchte sie, mehr denn je; hier in dieser Zelle, in dieser Situation war sie die einzige Position, von der aus sie mit ihm verhandeln konnte, sie allein garantierte Überlegenheit.
»Bitte.«
Sie hatte die Hände im Schoß verschränkt gehabt, nun legte sie eine Hand auf den Tisch. Er senkte den Kopf, berührte mit den Fingerspitzen das Pflaster, dann ihre Haut, und sie hatte Mühe, den Impuls niederzukämpfen, die Hand zurückzuziehen.
»Da ist die Haut ganz rot.«
Sie zog den Ärmel ihrer Bluse zurück. Er sah wieder den Verband.
»Sie haben sie herausgeholt«, flüsterte er. »O Gott … Und überall waren Flammen, nicht wahr? Überall …«
»Es brannte zuerst in Ihrem Zimmer.«
Er schwieg. Wieder hatte er diesen visionären Ausdruck in den Augen, die nichts wahrzunehmen schienen, was mit seiner unmittelbaren Umgebung, mit der ganzen Situation zu tun hatte, in der er sich befand.
Da waren auch Puppen, wollte sie sagen. Es wäre die Überleitung gewesen. Sie sind alle verbrannt, Herr Ladowsky. Ihre schönen Puppen … In den hübschen Kleidern … Wieso, zum Teufel, Puppen? Was ist eigentlich mit euch los, mit Ihnen, mit Ihrer Mutter …?
Aber sie brachte keinen Ton heraus.
»Sagen Sie mir, ob das meine Schuld ist. Reden Sie doch … Mußte das so kommen?« Es war eher ein Flüstern, nein, eine Art stoßweises Gehechel, das die Worte zu ihr herüberwarf: »Das mit dem Feuer – bin das auch ich gewesen?«
»Vielleicht war es der andere, von dem Sie immer reden.«
Ironie war kein professionelles Mittel – aber es half nichts, sie mußte ihn treffen, mußte ihn wieder auf das Gleis zurückbringen, das er kannte, auch wenn es in den Irrsinn führte.
Doch er reagierte nicht. Er umklammerte ihre Hand so fest, daß sie schmerzte. Sie riß sie mit einem Ruck zurück.
»Warum lassen Sie sie mir nicht? Bitte, lassen Sie sie mir.«
»Was?«
»Die Hand. Die Hand, die meine Mutter gerettet hat. Die Hand … Verstehen Sie denn nicht? Soviel müssen Sie doch begreifen, die Hand …«
Er sprach nicht weiter, er verdrehte die Augen, glitt zur Seite, sein Körper schlug auf den Boden. Sie sprang auf, lief um den Tisch herum, kniete sich nieder und legte ihn auf den Rücken. Den Puls an der Halsschlagader konnte sie fühlen; er schlug rasch, flach. Kalter Schweiß stand auf seiner Haut, die Augen waren weit offen. Sie hatte im Zusammenhang mit ihrem Beruf schon viel psychisches Elend erlebt, doch erinnerte sie sich nicht, je einen Ausdruck von so intensivem Leid gesehen zu haben. Schnell öffnete sie den Bundknopf der Hose, einen Gürtel trug er nicht, dann überwand sie ihren Widerwillen und gab ihm leichte, klopfende Schläge auf beide Hälften des schweißigen Gesichts. Es war so kalkblaß wie die Wand … Und trotzdem, trotz des moribunden Ausdrucks der Augen mit den halb gesenkten Lidern beschlich Isabella das Gefühl, daß er sie ansah, daß er jede ihrer Bewegungen verfolgte, als warte er auf irgend etwas …
Sie sprang auf, lief zur Tür und öffnete sie. Da stand der Wärter wie zuvor, die Arme über dem Brustkorb gekreuzt, das Gesicht vollkommen ausdruckslos.
»Gibt's was?«
»Kommen Sie.«
Er betrat mit ihr den Raum und blickte völlig ungerührt auf den am Boden hingestreckten Körper. Dann wandte er langsam
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