Die Gutachterin
Nachbarn, und ging hinüber in den Glasverschlag, in dem Arnold Schöller saß, meistens wenigstens – jetzt lag er mal wieder, die Sessellehne zurückgekippt, die Beine auf dem Schreibtisch, so wie der Chef einer dieser US-Presse-Serien, die er sich viel zu oft reinzog.
»Anja, setz dich.«
Sie tat es.
Er hatte – auch eine dieser gekünstelten Angewohnheiten, die er so pflegte – einen Bleistift zwischen seine beiden Zeigefinger gespannt und betrachtete ihn, als erwarte er eine Offenbarung. Dann hob er den Blick wieder zur Decke. Sie selbst hatte er bisher nicht ein einziges Mal angesehen.
»Stichwort Kreuz-Mörder, Anja – nein, besser: Thema Saynfeldt.«
»Was soll mit Saynfeldt sein?«
»Das ist es ja: Nichts ist mit ihm … Genau da liegt der Hund begraben. Wie war das denn damit: ›Ich hab' den Saynfeldt angebohrt?‹ – Waren wohl nur große Töne. Wo sind die Informationen?«
»Das ist ganz einfach«, sagte sie.
»Und?«
»Ich komm' nicht an ihn ran. Er hat sich total abgeschottet.«
Schöller bequemte sich nun doch, die Füße auf den Boden zu setzen, selbst die Lehne seines Sessels stellte er hoch. Er sah sie an. Er war groß, kräftig, nicht gerade dick, war das, was man einen Schrank von Mann nennt, und er konnte lächeln auf die Art, die wirkte, als bekäme ein Haifisch gerade den großen Appetit.
»… nicht an ihn ran also? Soll ich dir mal was sagen, Anja?«
»Bitte.«
»Nicht nur bei Ladowsky, auch in deinem Fall haben wir's mit dem Täterhintergrund zu tun … Deine Tat besteht darin, nichts zu unternehmen. Über den Hintergrund brauchen wir gar nicht zu reden … Irgendeines dieser Kellerkinder, die täglich bei uns in die Redaktion wollen, hätte schon längst was angebracht … aber wenn man einen Frankfurter Großbanker als Papi hat, ist halt alles nicht so dringend …«
»Fangen Sie schon wieder an?«
»Stört's dich?« Er grinste weiter. »Dann sagen wir es so: Du bist gut, du bist wirklich gut, kein Witz – mein Ernst. Anja, du bist ein Talent, schreiberisch gesehen, du hast auch Verbindungen, das alles steht auf der Plusliste. Aber als Reporterin bleibst du nach wie vor eine Flasche. Und warum? – Kein Biß.«
»Ist das alles?«
Er sah nicht einmal hoch, als er nickte. Er hatte seinen Terminkalender vor sich.
Er sagte nur: »Ja.«
* * *
Der Ball kam zurück, wischte rechts an ihm vorüber, er hechtete, bekam ihn nicht, knallte mit dem rechten Ellbogen auf den Boden und schlitterte fast drei Meter weit bis zur Wand.
Jetzt hatte er genug, ihm tat alles weh. Jürgen aber stand da, wollte sich totlachen, hielt sich sogar dabei den Bauch, denn den hatte sich der liebe Vetter angefressen, er wog gute zwölf Kilo mehr als er – und gewann trotzdem schon das zweite Spiel.
Richard Saynfeldt rappelte sich hoch. »Lassen wir's …«
»Aufgeben ist schlechter Stil, Richard. Bin ich gar nicht von dir gewöhnt.«
Er sah ihn nur an.
Sie gingen unter die Duschen, und Saynfeldt dachte: Schlechter Stil? Hat ja recht, der Jürgen … Trotzdem – hier darfst du noch verlieren, draußen ist das schon was ganz anderes.
An der Clubbar, nach dem ersten Pils, stellte er die Frage, die er die ganze Zeit mit sich herumtrug: »Und …? Was Neues aus der Kanzlei Reuter?«
Jürgen schüttelte den Kopf. »Damit kann ich dir nicht dienen. Leider. Das Loch ist anscheinend verstopft. Da kommt nichts als Dampf.«
Saynfeldt nickte. Auch noch.
»Hast du jetzt einen Gutachter?«
Er schüttelte den Kopf. »Der wird vom Vorsitzenden bestellt. Dann sehen wir weiter.«
»Und Isabella?«
»Die? Die hält sich Reuter in Reserve.« Er hatte die Lust an seinem Bier verloren. »Aber wahrscheinlich bekommt sie ihren großen Auftritt. Reuter hat die Zulassung bereits beantragt.«
»Und wer ist der Gerichtsvorsitzende?«
»Martin. Auch die Geschworenen wurden bereits zusammengestellt. Das flutscht nur so. Mit Martins Gutachter kann ich zufrieden sein. Lüttker liegt genau auf meiner Linie, nicht so ein dahergelaufener Dilettant wie Isabella, die mal einen dieser Schnellkurse für forensische Ausbildung belegt hat und Unsinn in der Gegend rumschreibt. Sie wird sich wundern, oh, und wie sie sich wundern wird! Lüttker wird sie in der Luft zerreißen. Und dann komme ich.«
Jürgen legte ihm die Hand auf den Arm: »Hör mal, wieso eigentlich nimmst du das so persönlich?«
»Persönlich? Das fragst du?« Richard Saynfeldt sah ihn an. »Ich geh' jetzt. Danke für das Spiel. – Ciao!«
Jürgen
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