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Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition)

Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition)

Titel: Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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welchselbiger die Gewöhnlichkeit seines Trägers auf eine geradezu drastische Art zum Ausdruck brachte: er nannte sich nämlich Guillaume Gautier. Er weilet nicht mehr unter den Lebenden, da er seinem Weine mit zu großem Fleiße zugesprochen, doch sein Sohn hat die Wirtschaft übernommen und bereitet auch heute noch einen guten Braten für einen wohlfeilen Preis. Ich habe erst am Donnerstag der vergangenen Woche dort zu Mittag gespeist, und wenn es den Leser gelüstet, diese einfache Kost zu versuchen, so braucht er sich nur auf mich zu berufen. Abel Gautier (so ist der Sohn geheißen) wird ihn wie einen Mylord empfangen. Die Straße ist ruhig, kaum von Karren und Fuhrwerken befahren, und die Bedienerin gefällig.
    Als wir die Speisewirtschaft Guillaume Gautiers verließen und zu Fuß zum Seine-Fluß hinabschritten, uns zur Cité zu begeben, in die Rue des Sablons, allwo Herr de Nançay wohnte, begegneten wir einem gar seltsamen Aufzuge, an dessen Spitze eine aus Weidenruten verfertigte männliche Gestalt getragen ward, welchselbige gut zwei Klafter maß, eine rote Uniform wie die Schweizergarde des Louvre trug und in der Hand einenblutigen Dolch hielt. Das Angesicht ward durch eine greuliche, fratzenhafte Maske dargestellt, welche von einem Abgesandten der Hölle zu stammen schien. Auf der Brust trug dieser Elende ein Schild, das
urbi et orbi
verkündete, er sei ein »Mör der und Marienschänder«. Hinter dieser Puppe schritten ein gutes Dutzend Priester, angetan mit Chorhemd, Stola und Schulterkragen, welchselbige ihr jedoch den Rücken zukehrten und also rückwärts gingen – was in diesen kotigen Straßen nicht gerade bequem war –, das Gesicht einer Statue der Heiligen Jungfrau zugekehrt, welche auf den Schultern vierer kräftig vorwärtsschreitender Karyatiden ruhte, die – nach ihren Schürzen und den im Gürtel steckenden Messern zu urteilen – Metzger zu sein schienen. Zu beiden Seiten der Statue hüpften, Weihrauchfässer schwingend, niedere Geistliche, welche sie unaufhörlich mit Wolken von Wohlgerüchen umgaben, ohne indes damit die Leiden der armen Jungfrau zu lindern, deren Angesicht und Busen blutende Wunden trugen, falls die karmesinroten Spuren wirkliches Blut waren.
»Se non è vero, è bene trovato«
1 , sprach mir Giacomi ins Ohr.
    Ich erfuhr später, daß der törichte Anschlag, an welchen dieser Aufzug erinnerte, sich einhundertvierzig Jahre zuvor begeben hatte. Ein Schweizer im Solde des Königs hatte seinen Sold beim Würfelspiel verloren, und als er die Wirtschaft in der Rue aux Ours verließ, worinnen man ihn derart ausgenommen, überkam ihn solche Wut und Zorn, daß er sich in seiner Trunkenheit, in welcher er keinen weißen Faden mehr von einem schwarzen zu unterscheiden vermochte, auf eine Marienstatue stürzte, welche an der Straßenkreuzung die Vorübergehenden segnete, sein Messer zog und grimmig auf sie einstach, sie umzubringen. Was ihm zwar nicht gelang, doch wie man sah, blutete Maria gar heftig und nach ein und einem halben Jahrhundert immer noch, insonderheit bei dem Umzug, währenddessen sie hinter ihrem Mörder aus Weidengeflecht durch die Straßen und Gassen des Viertels Saint-Denis bis wieder zurück zu ihrem Sockel getragen wird, wo man dann nach Gesängen, Gebeten, Beräucherung (sowie Kollekte) das Bildnis des Schweizers zu ihren Füßen verbrennt.
    Eine beträchtliche Menge folgte also der Statue und derPuppe, in ihren Gesängen die gebenedeite Mutter lobpreisend und deren Mörder dem ewigen Haß der Völker und den unendlichen Qualen der Hölle überantwortend, welchselbige Gesänge gellend laut mit geröteten Gesichtern vollführet wurden, auf eine gar nicht andächtige, sondern vielmehr eifernde und kriegerische Art, indes auch – was mich gar sehr verwunderte – hier und da Messer, Beile und Spieße geschwungen und erschröckliche Schreie ausgestoßen wurden, nämlich daß alle Gottlosen, Juden und Hugenotten auf den Scheiterhaufen gehörten, wobei man die Vorübergehenden finster und drohend musterte, als verdächtige man sie, der gemarterten Jungfrau Maria nicht genug Ehrerbietung entgegenzubringen.
    Da dieser Zug die ganze Breite der Straße einnahm, traten wir alle vier in einen großen Hauseingang, welcher ein Einfahrtstor und eine kleine Eingangstüre aufwies, und wollten die versessenen Papisten mit dem blutenden Gegenstand ihrer Verehrung vorbeiziehen lassen, indes ich versuchte, in meinen Blicken das Mitleid zu unterdrücken, welches dieser

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