Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition)
mir Wams und Hemd aufzuknöpfen und meine Brust zu kraulen, welche Liebkosung mir höchstes Vergnügen bereitet hätte, wenn sie nicht unversehens ihre Hand mit einem solchen Schrecken zurückgezogen, als hätte sie sich verbrannt.
»Was, Monsieur!« rief sie, ihre Lippen von den meinen lösend und zurückweichend, »Ihr tragt noch all Euer Haar auf dem Leib?«
»Warum nicht?« entgegnete ich verwirrt.
»Von oben bis unten?«
»Von oben bis unten.«
»O Himmel!« stieß die Baronin hervor. »Corinne, hast du vernommen? Monsieur de Siorac trägt noch all seine Behaarung! Wie kann jemand so provinzlerisch sein!«
»Was soll ich denn tun?« fragte ich. »Ich bin von Natur aus behaart.«
»Bei meinem Gewissen!«
sprach Madame des Tourelles halb belustigt, halb unwillig. »Corinne, hast du dies vernommen? – Monsieur«, fuhr sie fort, »wißt Ihr das wirklich nicht? Schon seit geraumer Zeit trägt man allhier kein Leibeshaar mehr! Ein Bärtchen mag angehen! Doch ich wage zu sagen, es gibt in Paris keinen jungen, galanten Edelmann mehr, welcher sich nicht vollends enthaaren ließe, ehe er seine Dienste den ehrbaren Damen des Hofes anträgt!«
Ich hätte erwidern können, daß diese Dienste mir eher abgefordert wurden, als daß ich sie angetragen hätte. Allein, ich zog es vor zu schweigen, wohl wissend, daß die holden Frauenzimmereinem Mann alles zu verzeihen vermögen, ausgenommen ungefällige Reden, und von Madame de Joyeuse darüber belehrt, daß man im Umgang mit den Weibern nur die Wahl habe: entweder alles – die Liebkosungen wie die Mäkeleien – oder nichts. Da das zarte Geschlecht sich am Liebhaber für die Untertänigkeit zu rächen pflegt, in welcher der Vater oder Ehegemahl es halten, habe ich immer nur Vorteil darin gefunden, mich von ihm ohne Widersetzen schelten zu lassen, denn ich habe beobachtet, daß man gemeiniglich mit der zugefügten Kränkung mein Bestes will und daß nach den Krallen das Sammetpfötchen kommt, welches dann um so schmeichlerischer ist. So schwieg ich, die Schöne mit treuherzigen blauen Augen anblickend und ganz zerknirscht, als hätte ich ihre Gunst verloren.
»Oh, Madame!« sprach Corinne, welcher meine Zerknirschung zu Herzen ging, »sehet nur, wie beschämt und bestürzt er jetzt dasitzt! Reichen wir ihm wieder unsere Lippen! Monsieur de Siorac hat nur aus Unwissenheit gesündigt. Und es ist eine geringe Sünde, welcher rasch abzuhelfen ist. In weniger als einer Stunde macht ihn eine gute Haarschererin in den Badestuben so glatt und weich wie Nicotin.«
Hoho, Corinne! dachte ich, wie schnell gehst du zu Werke! Ich gänzlich kahl- und glattgeschoren! Zurückversetzt in meine unmannbaren Kinderjahre! Und werde ich nicht gar meine Kraft dabei verlieren wie Samson in der Bibel?
»Monsieur«, sprach da Madame des Tourelles, indem sie meine Hand ergriff und ihre Finger auf eine höchst wonnigliche Weise mit den meinen verwob, »so Ihr mir dergestalt dienen wollet, wie ich Euch geneigt zu sehen vermeine, dann muß diesem Mangel abgeholfen werden wie auch der Unvollkommenheit Eures Wamses, welches nicht nur von Euerm Urahn zu stammen scheint …«
»Aber Madame!« rief Corinne aus.
»… sondern auch noch geflickt ist auf der Vorderseite, was Euch bei Hofe allergrößte Schande einbrächte.«
»Madame, wir sind angelangt«, sprach Corinne.
Und in der Tat hielt die Kutsche an, und Madame des Tourelles sprach zu mir mit einem liebreichen Lächeln, indes sie mit ihrer hübschen, zierlichen und duftenden Hand einen der Vorhänge zurückschob:
»Monsieur de Siorac, hier steige ich aus. Wir befinden uns in der Rue Trouvevache. Das kleine Haus mit den blauen Fensterläden gehört mir. Jedesmal, wenn mein schwacher Leib dieser weiten Welt überdrüssig ist, erhole ich mich darinnen von den Widerwärtigkeiten, dem Lärm und den Ungelegenheiten, welchen ich in meinem Stadtpalais ausgesetzt bin. Monsieur de Siorac, ich werde morgen um die sechste Abendstunde dort sein und Euch allein zu einem Abendessen erwarten.«
»Madame, es wird mir ein großes Vergnügen sein.«
»Das hoffe ich auch«, sprach die Baronin ein klein wenig von oben herab, »vorausgesetzt, es ist alles so, wie ich Euch bedeutet habe.«
Wonach mir noch verblieb, ihr mit höchstem Respekt die Fingerspitzen zu küssen und mich aus dieser bequemen Kutsche so geschickt wie möglich herauszuwinden, nicht ohne Corinne zuzunicken, deren Aufmerksamkeit ich erregt hatte, wie ich sehen konnte; freilich wußte ich nicht,
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