Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition)
– vor dem Sergeanten teilte sich die Menge wie die Fluten vor Moses, so daß er, alsbald vor uns angelangt, mit einer Handbewegung unsere Degen sich senken hieß, sich vor Samson aufpflanzte und, indes er allein mit seinem Stock die Angreifer zurückhielt, mit Donnerstimme nach der Ursache des Tumultes fragte, welcher die königliche Ordnung störte. Da nun die Rasenden angesichts der Erscheinung dieses hünenhaften Gardesoldaten erschreckt schwiegen und zurückwichen, nutzte ich geschwind die Gelegenheit, mich zur Rechten des Sergeanten hinzustellen, indes Giacomi sich auf dessen Linke begab, so daß unsere drei Leiber vor Samson eine Wand bildeten, welche ihn den Blicken der Menge entzog. Dies nutzend, trat Miroul hinter meinen Bruder, welcher immer noch unbeweglich und stumm dastand, das Hirn wie benebelt von dem Gedanken an seinen Märtyrertod, und nahm ihm, ohne daß der dessen gewahr ward, die Mütze vom Kopf, welche er sogleich unter sein Wams schob. Eine überaus schlaue List, die ein großes Wunder verursachen sollte, die ich jedoch im Augenblick gar nicht wahrnahm, da ich nur Augen hatte für den Gardisten und die Menge.
Aus selbiger Menge, welche ein Heulen hören ließ wie ein an seiner Kette zerrender Bluthund, ohne sich indes an dem wie mit Zauberkräften versehenen Stock des Sergeanten vorbeizuwagen, trat schließlich ein großer, kräftiger Kerl hervor, welcher mir mit seiner blutbefleckten Schürze und seinem großen Messer ein Metzger zu sein dünkte, was mir zu der Vermutung Anlaß gab, daß seine Zunft der versehrten Jungfrau Maria wohl eine besondere Verehrung entgegenbrachte, zumal ich auch vier seiner Zunftgenossen die Marienstatue hatte tragen sehen.
»Diese Satansbrüder«, schrie der Metzger, »diese gotteslästerlichen Satansbrüder waren so schamlos, beim Herannahen der gebenedeiten Jungfrau ihre Mützen nicht abzunehmen.«
»Sie haben sie doch aber in der Hand«, entgegnete der Sergeant.
Worauf Giacomi, Miroul und ich selbst unsere Kopfbedeckung vor den Augen der Umstehenden schwenkten.
»Nicht diese drei, sondern der andere!« schrie die Menge. »Welcher andere?« fragte der Gardesoldat.
»Sergeant«, sprach ich da mit lauter Stimme, um von allen gehört zu werden, »es ist mein armer Bruder, welcher – Gott seis geklagt – infolge einer Gehirnverkühlung den Verstand verloren.«
»Und wo ist er?« fragte der Sergeant.
»Hinter Euch. Er ist sogar zum Weglaufen zu einfältig.«
Der Sergeant wandte sich um, erblickte Samson, packte ihn, höchst erstaunt von seinem Aussehen, am Arm und zog ihn vor die Menge, allwo mein Samson ebenso unbeweglich wie zuvor stehenblieb, aus seinen himmelblauen Augen die Rasenden vor ihm mit unbeschreiblicher Güte anblickend; denn in dem Glauben, sogleich in Stücke gerissen zu werden, sah er sich der ewigen Glückseligkeit bereits zu nahe, um seinen Henkern nicht zu verzeihen. In Wahrheit war es weniger Schwachsinn denn Selbst- und Weltvergessenheit, welche sich auf seinem Antlitz zeigten, doch man konnte sich gewißlich täuschen, und der Sergeant, welchen seine Schönheit und seine sanfte Miene rührten, wußte zunächst nicht recht, was er von diesem Satansbruder halten sollte, welcher eher wie ein Engel aussah. Doch dann ward er plötzlich gewahr, daß die kupferroten Haarlocken meines vielgeliebten Bruders in der Augustsonne glänzten, dawandte er sich der aufgebrachten Menge zu und schrie mit finsterem Gesicht:
»Wollt ihr mich zum Narren halten? Dieser Edelmann folget dem üblichen Brauch: er hat keine Mütze auf dem Kopf.«
Auf diese Worte trat auf der Straße unversehens eine wundersame Stille ein, und der tollköpfige Haufe starrte mit großen Augen in allerhöchster Verwunderung auf Samson, welchselbiger sich mit beiden Händen an den Kopf faßte und bestürzt ausrief:
»Meine Mütze! Wo ist nur meine Mütze?«
Verwundert und scheinbar verwirrt suchte er mit den Augen das Pflaster ringsum ab, doch vergebens. Hätte er uns eine Komödie vorspielen wollen, so hätte er’s nicht besser vermocht, wie auch ich nicht noch Giacomi, die wir ob dieses Wunders ganz sprachlos waren und unsere Augen über den Boden wandern ließen, was auch die Menge tat. Es hätte nicht viel gefehlt, und sie hätten alle seine Mütze gesucht, die doch in ihren Augen die Ursache der Marienschändung war, welche sie rächen wollten.
Als unsere Lage nun diese verwunderliche Wende genommen, da trat plötzlich aus dem vermaledeiten Prozessionszuge eines dieser
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