Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition)
sehen, fand ich Baragran und Alizon, die Nadel schwingend, in einen hitzigen Streit verwickelt.
»Du kannst doch nicht leugnen, dumme Gans«, sprach Baragran, »daß die Baronin schön wie die Heilige Jungfrau ist!«
»Schön!« entgegnete Alizon. »Die Baronin und schön! Gewißlich leugne ich das!«
»Weil du eifersüchtig bist!« sprach Baragran schlau.
»Eifersüchtig! Ich! O du Dummkopf!« erwiderte Alizon spitz mit einem halb mitleidigen, halb spöttischen Lachen. »Das hätte noch gefehlt, daß ich auf eine Baronin eifersüchtig bin! Mein edeler Herr, habt Ihr diesen dummen Tölpel gehört? Ich und eifersüchtig auf eine Baronin!«
»Nicht so sehr«, sprach Baragran, »auf den adeligen Stand als vielmehr auf die Schönheit der Dame! Denn schön ist sie, Jawohl! Das würde ich noch unter dem Galgen mit dem Strick um den Hals sagen. Und ich sage auch, daß man hundert Alizons wie diese hier brauchte, um daraus ein Weib wie die Baronin zu formen.«
»Und was hat sie mehr als ich, armer Hämling«, schrie Alizon, »außer ihrem bunten Gefieder?«
»Das Gefieder!« entgegnete Baragran, »das ist es ja gerade!«
»Hoho! Da irrst du aber! Rupfe ihr die Federn aus, Baragran! Was bleibt dann übrig? Zieh ihr das Schoßmieder aus, den Reifrock, den Unterrock von grünem Satin, die Schuhe mit den Absätzen von zwei Zoll, nimm ihr die Perlen ab, den hochragenden Kopfputz, die falschen Haarflechten, die Duftwässer, das Puder, die Schminke! Was siehst du dann, mein lieber Baragran? Ein Weib, nicht jünger und nicht älter denn ich, nicht anders beschaffen, mit einem Schlitz im Leibe wie ich, womit sie einem Manne kein größeres Vergnügen verschafft als andere!«
Über welche Rede ich mir die Haut voll lachte, denn mir kam in den Sinn, was meine kleine Hélix über Diane de Fontenac gesagt, als diese, während sie auf Mespech von der Pest genas, sich in ihrem Hermelinpelz am Fenster des Torhauses zeigte und sogleich meine Blicke (und die meines älteren Bruders François) auf sich zog wie ein Magnet die Eisenspäne. Ei! dachte ich, die Fliegen zu Paris stechen nicht schlechter als meine kleine Wespe im Périgord! Verwirrt darob, daß ich an meine arme kleine Hélix gedacht hatte, als wäre sie noch am Leben, wurde mir das Herz unversehens schwer vor Kummer, so daß ich mich abwandte und zum Fenster ging, durch welches ich mit verschleierten Augen und einem Würgen im Halse auf die Straße blickte.
Da Giacomi und mein hübscher Samson nach ihrem langen Schlaf einen Bärenhunger hatten und auch mir von den beiden Fleischpasteten vom Morgen (nebst der Milch meiner blonden Milchfrau) nur die Erinnerung geblieben, war meine erste Sorge, eine Speisewirtschaft ausfindig zu machen, wo wir uns an einem Kruge Wein und einem Hühnchen laben konnten, was nicht einfach war angesichts der großen Volksmenge, welche wegen der Hochzeit der Prinzessin Margot zu Paris zusammengeströmt war. Doch auf Empfehlung Baragrans fanden wir eine in der Rue de la Truanderie, welche ganz im Widerspruch zum Namen der Straße (denn Truanderie, das ist: Gaunerei, Dieberei) ihre Preise ehrlich auf einem Holzpfosten vor der Türe angeschrieben stehen hatte, wie es ein (leider kaum befolgter) königlicher Erlaß wollte. Der Speisewirt, ein VetterBaragrans, empfing uns überaus höflich, suchte jedoch in seiner neugierigen Wesensart Grund und Ursache unseres Aufenthaltes in der Hauptstadt aufs genaueste in Erfahrung zu bringen. Da ich seinem Verlangen bereitwillig nachkam, denn er schien mir ohne Arglist, erzählte er unsere Historie sogleich Kunden oder Nachbarn weiter, besessen von der pariserischen Sucht, stets als unterrichtet zu gelten. Und da wir also sein Herz gewonnen, versprach er uns für morgens und abends einen Tisch in seinem Hause, was uns höchstlich erfreute, denn die Kost war gut und der Preis – obzwar noch immer dreimal höher als in Sarlat – bescheiden im Vergleich zu dem, was man anderswo in Paris zahlen mußte.
Ich versäumte nicht, diese gute Gesinnung des Speisewirtes uns gegenüber durch Erzählungen über die Mißgeschicke, welche mir in der Hauptstadt zugestoßen, aufrechtzuerhalten, und insonderheit der Bericht von dem versuchten Diebstahl meines Rosses auf dem Platze vor der Kirche Notre-Dame lieferte ihm für einen ganzen Tag Stoff zu schier endlosem Geschwätz und Getratsch. Es würde mir heute schwerfallen, sein Gesicht zu beschreiben, so alltäglich war es, indes erinnere ich mich sehr wohl seines Namens,
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