Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition)
bis zu welchem Grade.
Ich trat flugs zurück, damit die Kutsche mich beim Losfahren nicht mit Straßenkot bespritze, nach welchem Rückwärtsschritt ich mich in der Einfassung einer Türe befand, die sich unversehens hinter mir öffnete und aus der Pierre de l’Etoile heraustrat, ganz in Schwarz gekleidet, die lange Nase noch durch die Sorgen verlängert, welche der Gang der Welt ihm verursachte.
»Oh, Monsieur de l’Etoile!« rief ich aus, »durch welches Wunder erscheinet Ihr hier wie ein
Deus ex machina
?«
»Es ist weder ein Wunder noch ein Geheimnis«, entgegnete l’Etoile. »Dieses Haus hier gehört mir. Und jenes da drüben, welches Ihr mit Neugier betrachtet, ebenfalls. Ich habe es auf Bitten Recroches an die Person vermietet, aus deren Kutsche Ihr soeben ausstiegt. Es gab eine Zeit«, fuhr er in seinem grämlichen, moralisierenden Tone fort, mich dabei ebenso mißbilligend wie verschmitzt von der Seite anblickend, »da zu Paris nur die großen Herren des Hofes weitab von ihren Palästen solch
bequeme kleine Häuser
besaßen. Heutigentags (er seufzte) bedienen sich ihrer auch die ehrbaren Damen.«
»Was Ihr nicht sagt!«
»Monsieur de Siorac«, hub er wieder an, »ich habe in der Rue de la Ferronnerie zu tun. Darf ich Euch begleiten, auf daß wir unterwegs ein wenig plaudern können?«
»Es soll mir ein Vergnügen sein.«
»So auch mir. Wie Euch bekannt, mißbillige ich höchstlich die Sitten der heutigen Zeit. Wisset Ihr, was die verblichene Jeanne d’Albret sagte, als sie aus ihrem tugendhaften hugenottischen Navarra nach Paris kam, den Heiratskontrakt für Heinrich und Margot zu unterschreiben?«
»Was sagte sie?« fragte ich höflich.
»Daß am Hofe des Königreiches nicht mehr die Männer die Frauenzimmer auffordern, sondern letztere die Männer.«
»Was Ihr nicht sagt!«
»Gemach!« Und mit gesenkter Stimme fuhr er fort: »Mon sieur de Siorac, Ihr seid mir ein seltsamer Hugenott. Kaum einen Tag in Paris, und schon hängt Ihr am Haken, doch was noch schlimmer ist: zappelnd vor Ungeduld.«
»Monsieur«, sprach ich, mehr verdrossen denn erfreut, »sieht man mich denn zappeln?«
»Ganz beträchtlich. Doch lasset uns eilen! Ich werde in der Rue de la Ferronnerie erwartet.«
Und so beschleunigte er seine Schritte, groß, mager und steif dahinschreitend, steif auch in Hals und Schultern, jedoch mit neugierigen, nie stillstehenden Augen in erstaunlicher Unersättlichkeit um sich blickend.
»Monsieur«, sprach ich, »Ihr kennet die hochgeborene Dame?«
»So gut wie meine rechte Hand. Nur daß meine Rechte weiß, was die Linke tut, indes das Hotel des Tourelles nicht weiß, was das
kleine Haus
in der Rue Trouvevache tut. Monsieur de Siorac, Ihr lächelt gezwungen. Vermeinet Ihr, der erste zu sein?«
»Weder der erste noch der letzte. Doch darf ich Euch fragen, Herr Gerichtsrat, woher Ihr diese Dame kennet?«
Durch Recroche, welcher mir vermeldete, daß die Dame ein kleines Haus in der Nähe ihres Mützenmachers suche.«
»Und warum gerade da?«
»Wegen der gar großen Feinfühligkeit ihrer Kutsche, welche es vorzieht, auf ihre Herrin vor deren Mützenmacher zu warten anstatt in der Rue Trouvevache.«
»Hoho! eine vortreffliche List!« rief ich, aus vollem Halse lachend.
»So lasse ich es mir gefallen!« sprach darauf l’Etoile mit verkniffener Lippe, doch lebhaften Augen. »Ich befürchteteschon, die schöne Hexe hätte nicht nur Euern Leib, sondern zugleich auch Eure Seele in ihren Bann geschlagen. Oh, Monsieur! welch gehöriges Stück Eurer zartesten Gefühle hättet Ihr sonst an diesen Dornen lassen müssen! Unsere Hofcircen sind in ihrem fleischlichen Verlangen ebenso heiß, wie ihr Herz kalt ist. Das Innere wie das Äußere folget allein der eitlen Mode. Man wirft Euch fort, sobald Ihr nicht mehr gefallt.«
»Oder, wie ich hörte, sobald ihr schwacher Leib dieser weiten Welt überdrüssig.«
»Das wird er nie sein. Dazu trägt er eine allzu große Begier danach. Ehrwürdiger Herr Doktor, ich muß hier Abschied von Euch nehmen. Würdet Ihr gern die Bekanntschaft von Ambroise Paré machen?«
»Ei freilich! Ich wäre überaus beglückt!« sprach ich erfreut.
»Ich werde also dafür Sorge tragen.«
Und indes ich mich in Danksagungen erging, wandte sich der ehrenwerte l’Etoile einer Tür zu und klopfte daran, dieweil ich ihm voller Bewunderung über seine Vorsicht, seine Weisheit und auch seine Güte nachblickte.
Da ich in Meister Recroches Haus eintrat, nach meinen Brüdern zu
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