Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition)
Messe zu rufen, deren Märtyrer ebenfalls Christus verehrten.
ZEHNTES KAPITEL
»Moussu!« sprach Miroul und weckte mich aus der Erstarrung, in welche mich das Glockengedröhn versetzt hatte, »wir können nicht länger auf diesem Dach verweilen. Man wird uns herunterschießen wie Tauben.«
Sapperment, er hatte recht! Es mußte gehandelt werden, und zwar klüglich! Obgleich doch in einer solch gefahrvollen Lage das Glück oder das Unglück darüber entscheidet, ob einer in seiner Klugheit töricht oder in seiner Torheit klug gehandelt hat.
Das Dach, darauf wir uns befanden, setzte sich noch über einen Ausbau fort, welcher das Aussehen eines Pferdestalles hatte, hinter dem ein Hof lag; dahinter wiederum erstreckte sich eine Reihe von kleinen Gärten, die zu den Häusern gehören mußten, deren Fassade in der Rue de Béthisy zu besichtigen war: so bietet sich einem jeden, der in Paris durch die Straßen geht, ein urbanes Bild, hinter welchem sich dörfliches Leben verbirgt mit Brunnen, Obstbäumen und all dem Grünzeug, das die Hausfrau braucht.
Vermeinend, daß wir uns am besten durch diese kleinen Gärten davonmachen könnten und dort zumindest eine Zeitlang vor dem Gemetzel sicher wären, kletterte ich das Dach auf dieser Seite hinab, wobei Miroul mir bald voraus war und als erster den Anbau erreichte, von dem er zur Erde sprang. Unten angekommen, bedeutete er mir, ihm nicht zu folgen, da der Boden recht hart sei, und holte lautlos eine wackelige Leiter herbei, welche sich im Hofe befand und mir recht nützlich war, weit nützlicher indes für Fröhlich, unter dessen Leibesgewicht die letzten Sprossen brachen, so daß er schneller zur Erde kam, als gewollt, jedoch ohne Schmerz noch Beschädigung, worüber Miroul in ein unterdrücktes Lachen ausbrach, so ungebändigt war die ihm eigene Fröhlichkeit selbst in der Stunde höchster Gefahr.
Im Hofe war alles still und ruhig, denn die lieben Papistenwaren, wie ich schon vermeldet, eifrigst damit beschäftigt, das Haus auszuplündern, wo in den Fenstern wieder und wieder der Schein der Laternen aufblitzte, in deren Licht die Beutegierigen alle Kammern nach Geld, Kleidung, Waffen, Stiefeln, Silberbestecken durchstöberten – der Lohn Gottes, welcher schon im Diesseits für die Austilgung der Ketzer winkt, ehe dann im Jenseits das Paradies ohne Fegefeuer nachfolgt. Und bei dieser glorreichen Beutejagd kam – Gott sei’s gedankt – niemand auf den Gedanken, einen Blick aus dem Fenster zu werfen, denn dann hätte er uns auf unserer Flucht entdeckt, da die Nacht klar war und der Mond hell am Himmel stand.
»Vorwärts, Gefährten«, rief ich, »in die Gärten! Unter den Bäumen sind wir sicherer als unter den Menschen!«
Wir hasteten also in den nächstgelegenen Garten, von dort in den benachbarten und so fort, wobei Miroul flink wie ein Windhund über Zäune und Hecken sprang, ich diese nur mühsam überwand, indes Fröhlich hinter mir sie wie ein Elefant niedertrat, so daß ich ihn schließlich bat, mir voranzugehen, damit ich leichter vorwärtskäme. Gewißlich verursachte er einen Höllenlärm, indem er alles vor sich niederbrach, doch war davon kaum etwas zu hören in dem ohrenbetäubenden Glockengeläut und dem wilden Geknall der Stutzbüchsen und Arkebusen, das von allen Seiten ertönte.
Von Garten zu Garten hastend, gelangten wir schließlich an eine Straße, welche – wie mir Miroul sagte, der Paris gar trefflich kannte – die Rue Tirechappe war.
»Moussu«, sprach mein wackerer Diener, indes wir uns in den Schatten einer Toreinfahrt duckten, um zu beratschlagen, »wir sind nur wenige Schritte entfernt von Alizons Haus. Laßt uns sie um Hilfe ersuchen.«
»O nein«, erwiderte ich zwischen den Zähnen, »ausge schlossen ! Sie haßt uns wie der Teufel das Weihwasser, denn ihr Sinn ist ganz eingenommen von den Predigten ihres Pfarrers.«
»Aber Moussu«, sagte Miroul, »sie ist ein herzensgutes Frauenzimmer, mit hübschem weiblichem Zierat dazu, welchen Ihr geherzt und gekost, und für solche Mühe bleibt immer einige Dankbarkeit. Alizon ist Euch ergeben.«
»Nein, zum Teufel!« sprach ich. »Vorwärts, Miroul, wir müssen weiter!«
»Und wohin?«
»Immer der Nase nach.«
Doch noch ehe wir uns erhoben hatten, stürzte wenige Klafter vor uns ein Unglücklicher in den Straßenkot; man hatte ihn aus dem Fenster eines Hauses geworfen, in das die Mörder eingedrungen waren und aus dem nun die schrillen Angstschreie der Frauenzimmer tönten. Ich erwog
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