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Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition)

Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition)

Titel: Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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Spalt breit öffnete, um einzig l’Etoile und mich einzulassen, denn Meister Recroche und sein Geselle Baragran, beide bewaffnet, schlugen meinen Gefährten die Tür vor der Nase zu und legten sogleich wieder Ketten, Eisenstangen und Riegel vor.
    »Meister Recroche«, sprach l’Etoile, »ich wäre Euch sehr dankbar, so Ihr drei mir befreundete Edelleute samt ihrem Diener und ihren Reitpferden bei Euch zu beherbergen vermöchtet. Monsieur de Siorac ist Doktor der Heilkunde und der zweitgeborene Sohn eines Barons im Périgord.«
    Worauf Meister Recroche, den Kopf wiegend, kein einzig Wort zur Antwort gab. Er war ein eher gnomenhaft wirkender Mann mit glanzlosem, schmuddeligem, grauem Haar, einem Gesicht von bleicher, ungesunder Farbe und voller Pickel, bekleidet mit einem geflickten grünlichen Wams, den Hals nicht von einer Spitzenkrause, sondern von einem nicht sehr sauberen Umlegekragen umgeben, und seine langen Arme (die in seltsamem Gegensatz zu seinem geringen Wuchs standen) schienen seinem Aussehen etwas Spinnenhaftes zu verleihen, so wie die Krümmung seiner Nase ihm einen geierhaften Ausdruck gab. Nachdem er seinen Gesellen Baragran geheißen, die Kerze hochzuhalten, musterte er mich schweigend mit seinen kleinen, durchdringenden blauen Augen, als wolle er meinen Beutel und mich bis auf die letzte Unze genau abwiegen.
    »Meister Recroche, vernahmet Ihr meine Worte?« fragte l’Etoile.
    »Sehr wohl, Herr Audienzrat«, erwiderte Recroche, »aber baba! (Was dieses
baba
, welches er mit Fleiß gebrauchte, bedeuten sollte, weiß ich nicht zu sagen, und ich frage mich sogar, ob er selbst es wußte, denn er hatte die seltsame Angewohnheit, sich eigene Wörter zu erfinden und ihrer zehn zu verwenden, wo ein einziges genügt hätte – vielleicht, weil er sich durch den verschwenderischen Umgang mit Worten über seinen Geiz hinwegtrösten wollte.) Baba, Herr Audienzrat, ich vermiete nicht, das ist nicht mein Gewerbe.«
    »Gewiß, gewiß!« sprach l’Etoile mit mehr Liebenswürdigkeit, als ich von seinem gallsüchtigen Wesen erwartet hätte. »Aber Ihr habt doch Kammern.«
    »Baba, Kammern! Höchstens Kämmerchen, Kämmerlein,Kämmerleinchen! Aber doch nichts, diesen feinen Herrn zu beherbergen!«
    An dieser Stelle geruhte er, mit seinem langen Arm über den Boden streichend, mir gegenüber eine Art Verbeugung anzudeuten, was jedoch – wie ich glaube – eher aus Spott als aus Höflichkeit geschah, denn l’Etoile, welcher den Mann wohl kannte, blickte höchst finster, wohingegen ich keine Miene verzog, sondern mich ebenfalls verbeugte, wenn auch etwas steif.
    »Dieser feine Herr«, sprach l’Etoile, »hat kein Dach über dem Kopf.«
    »Baba, das ist etwas anderes«, entgegnete Meister Recroche, sich mit einem gar schwarzen Fingernagel an der Nase kratzend. »Wenn der edle Herr kein Dach über dem Kopf hat und zudem noch Euer Freund ist, so muß er wohl beherbergt werden, und sei es auch nur in einem Kämmerleinchen. Doch kann ich es? Das ist der Haken!«
    »Ich ersuche Euch gütigst, Meister Recroche!« sprach l’Etoile, welcher sichtlich sich so sehr mühen mußte, seine Geduld zu bewahren, daß ihm der Schweiß über das Angesicht floß, »ich bitte Euch inständigst, entscheidet Euch, es ist schon spät.«
    »Entscheiden!« erwiderte Meister Recroche. »Baba! Das ist leichter gesagt, als getan. Die Winzkämmerchen, von welchen ich spreche, sind nur zwei an der Zahl, während die edlen Herrn ihrer vier sind.«
    »Wir werden unser zwei in einer Kammer schlafen«, sprach ich.
    »Baba«, antwortete Meister Recroche, »die Betten sind kaum für einen groß genug!«
    »Wir werden uns schon damit abfinden«, sprach ich.
    »O nein!« rief Meister Recroche, »o nein! Zwei starke Männer in diesen kleinwinzigen Bettlein, da würden sie sofort entzweibrechen!«
    »Was zerbricht, wird bezahlt!« entgegnete ich ungesäumt.
    »Das ist wohlgesprochen«, sprach Meister Recroche wie zu sich selbst, die Nase mit dem rechten Zeigefinger reibend, »einen solchen Logiergast lasse ich mir gefallen, falls ich ihn aufnehmen sollte!« Zu mir gewandt, fuhr er fort: »Jedoch, Monsieur de Siorac, ist das Fenster zum Jammern klein und nicht mit Glas, sondern mit Ölpapier versehen.«
    »Man kann es öffnen.«
    »Hütet Euch! Der Friedhof der Unschuldigen Kindlein liegt darunter, dessen Erdreich so voller Fäulnis und Moder ist, daß eine Leiche in nur neun Tagen verwest! Und des Nachts ist die Luft dort so drückend, schweflig und

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