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Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition)

Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition)

Titel: Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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Alizon.
    »Jungfer, wenn ich darauf aus wäre«, sprach Recroche, »dann würde ich Baragran den Abschied geben (worauf dieser erschreckt aufblickte) und noch ein zweites Frauenzimmer in Dienst nehmen.«
    »Hoho, niemals! Ihr hättet viel zuviel Angst, daß die beiden Frauenzimmer mit dem gleichen mageren Lohn sich verschwören und die Arbeit verweigern möchten!«
    »Gemach, Alizon!« sprach da Meister Recroche mit ernstem Gesicht, »sprich hier nicht von Verschwörung und von Arbeitsverweigerung, oder ich jage dich augenblicklich davon, denn dies sind gar schwere Vergehen, welche untersagt sind durch die Zunftmeister!«
    »Ebenso wie die Nachtarbeit durch die königlichen Erlässe!« schrie Alizon.
    »Baba! Die Erlässe!« sagte Recroche darauf und zuckte mit den Schultern. »Holla, Freundchen!« fuhr er fort, den Lehrjungen rüttelnd, »wach auf und bewege die Nadel. Die Baronin erwartet morgen früh ihre Hauben.«
    »Seht euch diesen Faulpelz an«, sprach Baragran, »der seine Arbeit den anderen überläßt!«
    »Er ist eben der Sohn eines Meisters«, fügte Alizon spitz hinzu, »und was kann er dann, bei soviel Nachsieht, am Ende seiner drei Lehrjahre? Nichts. Weder eine Männermütze noch ein viereckiges Barett aus feinem Tuch oder gar ein Samtbarett vermag er zu verfertigen! Und trotzdem wette ich, daß er seinen Meisterbrief bekommt – ob mit oder ohne Meisterstück!«
    »Schäme dich, aus dir spricht nur der Neid!« sprach Meister Recroche. »Das Schicksal bestimmt, ob wir arm oder reich geboren werden. Und dem hat man sich zu fügen, Ihr edlen Herren«,fuhr er, zu uns gewandt, fort, »wollet Ihr mir nun folgen, ich will Euch Eure Kämmerchen zeigen.«
    Oh, Leser! Der Schurke hatte beileibe nicht übertrieben, denn mit welchen Namen er sie auch bezeichnet hatte, sie waren alle noch höchst schmeichelhaft für diese beiden engen Käfterchen, deren ein jedes mit nichts anderem ausgestattet war als einer armseligen Bettstatt, einem schiefen Tisch, einer kleinen Waschschüssel und einem Hocker. Die schlecht gehobelten Dielenbretter des unebenen Fußbodens knarrten bei jedem Schritt, und die Wände sowie die Decken waren so schmutzig und schwarz, als hätten Millionen von Fliegen ihren Dreck darauf abgesetzt. Das winzige Fenster, welches ich sogleich öffnete, ging nicht auf den Friedhof, was uns zumindest einige Ruhe gebracht hätte, sondern auf die Rue de la Ferronnerie, und erst jenseits der Straße waren hinter einer Mauer die Gräber zu sehen. Die Grabkreuze glänzten unheimlich im Scheine des Vollmondes, welcher auch – just mir gegenüber – einen Weißdorn erhellte, der die Mauer bereits überragte, so gut war er in der von den Gebeinen der Toten gedüngten Erde gediehen. Ansonsten war kein anderes Grün zu sehen. Die Luft war keineswegs so verpestet, wie Meister Recroche behauptet hatte, sondern säuerlich, süßlich und drückend, fast schon stinkig.
    »Ich hatte Euch gewarnt«, sprach Meister Recroche. »Diese Kämmerchen sind keine Paläste. Als ich meinen Gesellen noch Kost und Logis gewährte, waren sie hier untergebracht. Doch die Zunftmeister haben diesen Brauch untersagt, ohne indessen die Löhne zu erhöhen, so daß dies recht vorteilhaft für uns war. Messieurs«, fügte er mit einer so tiefen Verbeugung hinzu, daß sich die Verachtung des Diebes für den Bestohlenen deutlich zeigte, »ich wünsche Euch eine gute Nacht. Hier seid Ihr sicher vor den Unbilden der Nacht und den Pariser Gaunern.«
    »Könnt Ihr uns«, sprach ich, indes er sich zum Gehen anschickte, »nicht wenigstens das Licht hierlassen?«
    »Das ist nicht möglich«, antwortete Recroche. »Ich versorge meine Quartiergäste nicht mit Kerzen.«
    »Also werde ich dafür zahlen.«
    »Das macht zwei Sols«, sprach Recroche mit bescheiden gesenktem Blick.
    »Zwei Sols für eine Kerze!« schrie da Samson, welchen ichnoch nie so wütend und grimmig gesehen hatte, »zwei Sols! Das ist Wucher!«
    »Bin ich etwa ein Wucherer?« schrie Recroche und fuhr herum, als hätte ihn eine Wespe gestochen. »Wenn Ihr die Sache so seht, kann ich Euch kein Quartier geben, meine Herren, das lasset Euch gesagt sein. Der Preis richtet sich nach der Nachfrage. Wenn er Euch zu hoch scheint, braucht Ihr nicht zu kaufen, doch dulde ich keine ungebührlichen Worte.«
    O dieser abgefeimte Spitzbube, dachte ich, will obendrein noch geachtet sein! Ich faßte Samson am Arm, und indem ich ihn unsanft beiseite schob, sprach ich:
    »Was mein jüngerer Bruder sagt,

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