Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition)
wiewohl Ihr Hugenott seid, dann findet Ihr hinreichend Betätigung in dieser Stadt, deren Sitten verderbter sind als die des alten Babylon und deren Ruf in der Umgebung so schlecht, daß ein ehrliches Frauenzimmer aus der Ile-de-France sich nur einige Zeit hier aufzuhalten braucht, damit man nach Rückkehr in ihr Dorf an ihrer Keuschheit zweifelt. Doch bei Gott, wir wollen nicht länger verweilen. Die Rue de la Ferronnerie ist noch weit, und die Nacht kommt und mit ihr leider all die Gefahren, die sie mit sich bringt, denn Ihr müßt wissen: es gibt zu Paris keine Straße noch Gasse, worinnen man Euch nicht den Beutel abzwackt und die Kehle durchschneidet, sobald die Sonne untergegangen.«
»Die Stadt ist wohl nicht beleuchtet?«
»Sie sollte es sein. Laut Verordnung haben die Bürger dafür zu sorgen. Doch in Paris bleiben die Gesetze gemeiniglich toter Buchstabe, denn der Pariser ist höchst widersetzlich. So steht es auch mit der Sauberkeit des Rinnsteins, den jeder vor seiner Haustür mit reichlich Wasser säubern müßte, insonderheit wenn die Pißpötte darin ausgeleert werden.«
»Ei, was ist das?« sprach ich, »der Kopf wird mir so naß! Es regnet!«
»Oh, nein«, antwortete l’Etoile. »Irgendeine Gevatterin gießt ihren Fenstergarten. Ihr werdet diese blühenden Majoran- und Rosmarin-Töpfe überall in der Stadt sehen, obgleich sie höchst lästig für die Vorübergehenden und streng verboten sind kraft königlicher Erlässe. Ihr habt also die Wahl, Monsieur de Siorac, so Ihr Euch zu Fuß durch die Straßen beweget: entweder geht Ihr in der Mitte durch den Schmutz und Unrat des Rinnsteins, oder aber an den Häuserwänden entlang, wobei dann Euer Fuß trocken bleibt, das Haupt aber naß wird. Und dabei habt Ihr noch Glück im Unglück, wenn es sich nur um Wasser handelt. Doch um Himmels willen, laßt uns nicht länger säumen. Die Nacht kommt, wir müssen uns in Trab setzen.«
Was ich ihm zu Gefallen auch tat, erstaunt, ihn so in Sorge ob der Pariser Gauner zu sehen, als hätte er nicht vier bis an die Zähne bewaffnete Männer, noch dazu mit Pistolen in den Satteltaschen, um sich. Doch indes wir die Rue de la Barillerie entlangtrabten, welche am Palais vorbeiführt, einem prächtigenGebäude der Stadt, vor welchem ich, selbst in der Dämmerung, gern einen Augenblick verweilt hätte, beobachtete ich in der Tat, daß immer weniger Menschen zu sehen waren und die wenigen ihre Schritte beschleunigten, als wolle jeder angesichts der hereinbrechenden Nacht schnellstens seine Behausung erreichen und sich hinter wohlverschlossenen Türen und vergitterten Fenstern verschanzen.
»Und die Stadtwache, Monsieur de l’Etoile?« fragte ich schließlich, erstaunt die Pariser bei Anbruch der Nacht in einer solchen Furcht und Angst zu sehen. »Gibt es keine Stadtwache, welche nächtens das Leben der Bürger und Mitwohner der Hauptstadt behütet?«
»Es gibt ihrer zwei«, antwortete l’Etoile mit einem bitteren Lächeln. »Oh, wie gut sind wir in dieser Stadt behütet! Zwei Stadtwachen! Die eine besteht aus Bürgern und Handwerkern und wird die ›sitzende Wache‹ genannt, und das ist weiß Gott ein passender Name! Denn diese tapferen Helden verkriechen sich in einen Hauseingang, wo sie sich im Schein einer Laterne die Zeit mit Würfelspiel vertreiben und dabei ihre Flaschen leeren: Ihr könnt Euch denken, daß sie den Hintern nicht erheben, wenn jemand nach Hilfe schreit. Die andere, die ›königliche Wache‹, umfaßt vierzig Sergeanten zu Fuß und zwanzig Sergeanten zu Pferde; ich könnte sie, im Gegensatz zur sitzenden, als galoppierende Wache bezeichnen, denn die ganze Nacht über streifen sie durch die Stadt, wobei die kräftigen Sergeanten mit ihrer schweren Rüstung auf ihren ständigen, wenn auch unnützen Ritten einen solchen Lärm auf dem Pflaster verursachen, daß die Gauner beim Herannahen vom Ort ihrer Untaten verschwinden, um unverzüglich dorthin zurückzukehren wie Fliegen zum Kandiszucker, nachdem die Wache vorbei.«
»Monsieur de l’Etoile«, sprach ich, »gleich nachdem Meister Recroche uns aufgenommen – so er dies überhaupt tut –, werde ich Euch unverweilt zu Eurem Hause geleiten.«
»Oh, Monsieur! Tausend Dank!« entgegnete l’Etoile mit einem Seufzen, »Ihr nehmt mir eine große Last von der Seele. Mein Haus ist in der Rue Trouvevache gelegen, es ist nicht weit bis dort, doch es wäre höchst gefährlich, wenn ich den Weg allein zurücklegte.«
Wir schwiegen eine geraume Zeit und
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