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Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition)

Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition)

Titel: Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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ritten, nachdem wir die Wechsler-Brücke überquert, die Grand’ Rue Saint-Denisentlang, die vor Kot und Unrat schier überquoll, ganz im Unterschied zur Rue de la Ferronnerie, in welche wir nach links einbogen und welche mit ihren vielen Läden ein höchst sauberes Pflaster aufwies, obgleich sie – wie mir l’Etoile sagte – die am schlechtesten ausgefluchtete Straße der Hauptstadt war, worinnen die Häuser der einen Seite sich gleichsam gegenseitig darin zu übertreffen suchten, welches am weitesten in die Straße hineinragte, während auf der anderen Seite die Kaufläden längs der Friedhofsmauer so üppig in die Straße wucherten, daß es ein wahres Wunder war, wenn man zwischen den Häusern und Läden überhaupt noch hindurchkam. Gewiß war es noch schlimmer, möchte ich wetten, wenn vor den Läden die Straße mit Kaufmannswaren und Auslagetischen vollgestellt war.
    »Vielleicht vermeinet Ihr«, sagte Monsieur de l’Etoile in dem klagenden Ton, in welchem er stets von seiner Stadt sprach, obgleich er dieser sehr zugetan, »vielleicht vermeinet Ihr, Monsieur de Siorac, daß dies ein himmelschreiender Mißstand ist, welcher unverzüglich abzustellen sei. Doch Ihr müßt wissen, lieber Herr aus dem Périgord, je himmelschreiender ein Mißstand in Paris ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, daß er auf ewig bestehen bleibt!«
    Ich lachte über seinen Scherz, doch verstummte alsbald wieder, denn ein Blick auf meinen Reisebegleiter zeigte mir, daß er sich in keiner Weise lustig machte und daß seine Worte ernst zu nehmen waren.
    »Wie!« sprach ich, »wenn der König sagt ›Ich will‹, dann wird dem nicht Genüge getan?«
    »Höret vielmehr folgende Begebenheit«, erwiderte l’Etoile mit bitterem Gesicht. »Eines Tages war Heinrich II. in seiner Karosse auf dem Wege von seinem Louvre-Schloß zum Tournellen-Palast und fuhr wie gewöhnlich durch die Rue de la Ferronnerie. Hier geriet er in ein solch unentwirrbares Durcheinander von Menschen, Wagen und Pferden, verursacht durch die Vorsprünge und Vorbauten der Häuser, daß er fluchend und schäumend über eine Stunde nicht vom Fleck kam. In seinem Zorn verfügte er einen Erlaß, kraft dessen innerhalb eines Monats alles, was in der Rue de la Ferronnerie über die Fluchtlinie hinausragte, abgerissen werden sollte. Und was sehen wir, Monsieur de Siorac? Achtzehn Jahre später befindet sich in derRue de la Ferronnerie alles noch in demselben Zustand wie an jenem Tage.«
    »Aber Monsieur de l’Etoile«, sprach ich in höchster Verwunderung, »das ist doch unglaublich! Alle Hugenotten des Königreiches zitterten, wenn sie den Namen Heinrichs II. hörten, und Paris gehorchte ihm nicht!«
    »Ich habe es Euch doch schon gesagt!« fuhr l’Etoile fort, »Paris ist so widersetzlich und streitbar, daß es weder Zügel noch Gesetze duldet! Es hält sich für den König selbst und tut nur, was ihm genehm ist, wobei seine größten Vergnügen Aufruhr, Tumult und Hurerei sind! Um es wenigstens vor dem König in die Knie zu zwingen, müßte man jeden seiner dreihunderttausend Hälse einzeln umdrehen!«
    »Da sei Gott vor!« rief ich lachend aus. »Ein entvölkertes Paris würde mir gar nicht gefallen!«
    Damals lachte ich, unbeschwert von den kommenden Ereig nissen:
    Prudens futuri temporis exitum
    Caliginosa nocte premit Deus,
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    und die verstopften Pariser Straßen, ob deren der gute l’Etoile mit den Zähnen knirschte, schienen meinem jugendlichen Sinn eher ein Anlaß zur Belustigung. Oh, Leser! Indem ich in meinem vorgerückten Alter, achtunddreißig Jahre nach meiner Ankunft in Paris, diese Historie niederschreibe, verspüre ich Beklemmung im Halse, und fast treten mir die Tränen in die Augen bei dem Gedanken, daß vor zwei Monaten in ebendieser Rue de la Ferronnerie, welche durch Mißachtung der königlichen Erlässe eng und gewunden geblieben, die königliche Karosse sowohl durch die hervorstehenden Kaufläden als auch durch das große Menschengedränge aufgehalten ward und ein vom Eifer der Pfaffen angestachelter Mörder mit einem ruchlosen Messer das edle Herz Heinrichs IV. durchbohrte. Oh, welch infamer Messerstich! welch Unglück! welch unermeßliches Leid! Und ich weiß nicht, wie Frankreich jemals diesen Schmerz verwinden soll!
    Nachdem er abgesessen, mußte Pierre de l’Etoile mehrmals kräftig an die Tür klopfen und laut seinen Namen rufen, eheein halbes Auge hinter dem eisernen Querstab des Guckfensterchens erschien und die Tür sich einen

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