Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition)
ins Gesicht steigen, denn es ist eine Schande für das ganze Königreich. Rabelais sagte von jenem Teil der Mauer, er sei so schwach, daß von dem Furz einer einzigen Kuh gleich sechs Klafter davon umfielen! Und glaubt Ihr etwa, seit dem Tode des göttlichen Rabelais hätte man diesem jämmerlichen Zustand abgeholfen? Keineswegs! Wir verwenden mehr Geld für den Putz und Prunk unserer Prinzen denn für die Sicherheit ihrer Hauptstadt!«
Wir passierten die Zugbrücke des Buccy-Tores inmitten eines großen Gedränges, nicht ohne den Wachsoldaten die Geleitbriefe vorzuweisen, welche uns Cossolat zu Montpellier vor unserem Aufbruch aus der Stadt ausgefertigt; denn wie hätten wir welche aus Sarlat vorzeigen sollen, da doch Monsieur de la Porte, von dem wir sie hätten erbitten können, gehalten war, uns festzunehmen und in den Kerker zu werfen.
Im übrigen nahm sie der Sergeant der Wache kaum in Augenschein, so überdrüssig war er sicherlich der übergroßen Menge Volkes, welche unter großem Gedränge an ihm vorbeiströmte, um vor dem Schließen der Tore in den Mauern der Stadt zu sein.
Oh, Leser! wie enttäuscht war ich! Denn obschon die Straße, welche wir vom Buccy-Tor hinabritten, hübsch gerade verlief, waren doch die Häuser zu beiden Seiten so hoch und so schlecht ausgefluchtet, das Pflaster so mit Kot, Unrat und Schmutzwasser bedeckt und die Luft – um ehrlich zu sein – so stinkend und drückend, daß ich mich eher in einer Kloake wähnte denn in einer großen Hauptstadt.
Ich verschloß jedoch meine Gedanken in mir, denn ich wollte meinen cholerischen Reisegenossen nicht kränken, und da wir gerade an einer Kirche vorbeiritten, welche Saint-André-des-Arts geheißen, sagte ich im Gegenteil einige artige Lobesworte über selbige Kirche, worauf er recht verlegen, als schäme er sich über den Straßenkot, durch welchen unsere Gäule stapften, entgegnete:
»Gewiß, dies ist ein schönes Bauwerk, doch teilt es unsere mißliche Lage: es stehet wie wir in Kot und Unrat. Sehet, hier ist es besser«, fuhr er fort, als wir in eine breite Straße hineinritten, links und rechts gesäumt von verlockenden Läden, welcheüberbauet waren von gar schönen und neuen Häusern gleicher Höhe, wohlgefluchtet und aus Ziegelsteinen gemauert.
»Schaut nur, Monsieur de Siorac, wie sauber und gewaschen das Pflaster hier ist. Das kommt, weil die Händler wacker zu Werke gehen, denn sie wollen nicht, daß die Kunden durch den üblen Geruch des Straßenkotes abgeschreckt werden.«
»Und wie wird diese Straße genannt?« frage ich höchst erstaunt.
»Dies ist keine Straße«, erwiderte l’Etoile, »es ist die Sankt-Michaels-Brücke.«
»Eine Brücke?« fragte ich und vermeinte, er mache sich über mich lustig. »Aber ich sehe nirgends den Seine-Fluß!«
»Ihr könnt ihn auch nicht sehen«, entgegnete er, denn die Häuser auf beiden Seiten verbergen ihn vor Euerm Blick.«
»Ei, ich weiß nicht, was ich mehr bewundern soll«, sprach ich nach einer kleinen Weile. »Das so ebene Pflaster, die Sauberkeit des Rinnsteins oder die wohlgefügten roten Ziegelmauern der Häuser.«
»In welchen ich jedoch nicht wohnen möchte«, fügte l’Etoile hinzu und ließ das Maul hängen.
»Aber Monsieur!« sprach ich, »warum denn nicht? Sie sind doch sehr schön!«
»Es ist höchst gefährlich, über einem so ungestümen Fluß zu wohnen. Die Seine ist gegenwärtig bei heiterer Laune, doch bei Hochwasser verschonet sie nichts in ihrem Tosen und Wüten. Es gibt zu Paris keine Brücke, welche sie nicht schon einmal weggerissen hätte und die Menschen darauf in ihren Fluten begraben. So die Notre-Dame-Brücke! So auch die Meuniers-Brücke! Und ebenfalls dieselbige Brücke, auf der Ihr Euch befindet und die kaum älter ist denn ich. Die vorherige ward vor noch nicht dreißig Jahren in einer einzigen Nacht von den tobenden Wassern zum Einsturz gebracht.«
Doch da mir die Gefahr fern schien und es gar viel zu sehen gab in diesen Läden, deren Fenster – obgleich die Nacht noch nicht gekommen – mit Kerzen beleuchtet waren, hätte ich gern noch verweilt, zumal ich hinter den Scheiben junge und ehrbare Damen in höchst eleganter Aufmachung sah, mit schwarzen Masken vor den Gesichtern, was auf ihren Stand schließen ließ und daß sie nicht von gewöhnlichem Schlage waren.
»Monsieur de Siorac«, sprach l’Etoile in seinem moralisierenden,mürrischen Ton, »falls, wie ich befürchte, die Weiberröcke große Anziehungskraft auf Euch ausüben,
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