Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition)
jetzt nicht zu gewagt wäre, würde ich Euch küssen dafür.«
»Küß nur, Jungfer«, sprach ich, ihr meine Wange bietend, auf welche sie ein flüchtiges Küßchen hauchte, ehe sie mit der Kerze in der Hand so leichtfüßig und anmutig enteilte, daß es eine Freude war, sie die Treppe hinabspringen zu sehen.
»Moussu«, sprach Miroul, als ich die Tür wieder geschlossen, »Ihr habt hier eine Freundin gewonnen.«
»Und du«, entgegnete ich beinahe wütend, »hast zu Montfort-l’Amaury eine gewonnen.«
»Oh, Moussu!« sprach Miroul lachend, »macht Ihr mir das immer noch zum Vorwurf?«
»Nein, nein. Und nun ins Bett, Bursche, ohne länger zu säumen.«
»Nein, Herr. So schlank ich auch bin, ich würde Euch stören. Ich werde auf dem Fußboden schlafen.«
»Kommt nicht in Frage. Da liegt es sich schlecht. Komm also. Ich befehle es.«
Er gehorchte, doch mitten in der Nacht, da ich aufstand,Wasser abzuschlagen, sah ich ihn im Scheine des Mondes auf der Erde schlafen, wie er gesagt.
Ich schlief sehr schlecht auf diesem gar harten Lager, und mir träumte, in der Grand’ Rue Saint-Denis verfolge mich eine Horde Mönche, große Küchenmesser in den Händen und laut schreiend: »Tod dem Ketzer!«, indes ich in voller Flucht durch den Straßenkot patschte, von oben durchnäßt vom Inhalt der Pißpötte, welche die Stadtweiber über mich entleerten.
Beim Erwachen war ich schweißgebadet, das Haar klebte mir am Kopfe, und durch das offene Fenster sah ich die Morgenröte am Horizont aufsteigen. Ich erhob mich und stieß mit dem Fuß gegen meinen wackeren Miroul, welcher im Erwachen sogleich nach dem Messer in seinen Hosen griff (denn er hatte in seinen Kleidern geschlafen) und schrie:
»Halt! Wer wagt es, sich an meinem Herrn zu vergreifen?«
So sehr hatte sein Traum dem meinigen geglichen, daß ich laut auflachte, was meinem Herzen wohltat und meine Gespenster vertrieb. Ich fühlte mich wieder frisch und munter, trat zum Waschtisch und goß aus dem kleinwinzigen Krügelchen genug von dem kostbaren Naß in die Schüssel – welche ich nach Recroches Art hätte »Schüsseleinchen« nennen sollen –, um mir Gesicht, Hände, Achseln und Brust zu benetzen. Wonach ich Hose, Hemd und Wams anlegte und Miroul antrug:
»Miroul, geh und sattele unsere Gäule. Wie man bei uns im Périgord sagt: Wer sich zeitig erhebt, pißt, wo es ihm beliebt. Im Morgengrauen haben wir die Straße noch für uns. Wir müssen eiligst eine Garküche finden, darinnen wir etwas zu beißen bekommen, denn mein Hunger ist riesengroß.«
»Und soll ich Eure Herren Brüder wecken?« fragte Miroul.
»Nein.
Bene dormit qui non sentit quam male dormiat.
1 Las sen wir sie den Schlaf der Gerechten schlafen, während wir das Quartier verlassen. Ich erwarte dich in der Werkstatt.«
Ich stieg hinab und fand darinnen Baragran, Alizon und Coquillon auf dem Boden sitzend, den Rücken an eine Truhe gelehnt und die Glieder von sich gestreckt, alle drei in tiefen Schlaf versunken, aus welchem indes Alizon vom Geräusch meiner Schritte erwachte, dabei nur ein Auge und beim Sprechen nureine Hälfte des Mundes öffnend. Keine Hauben mehr zu sehen, woraus ich schloß, daß der Meister unterwegs war, sie der Baronin von Tourelles zu bringen. Nirgends auch nur ein Stummel von meiner Kerze zu sehen (ebensowenig von der anderen), so daß ich mutmaßte, daß der Knicker sie weggeschlossen hatte.
»Ach, Herr!« sprach Alizon, »Ihr seid es. Ich bin wie tot, die Lider brennen mir. Was wäre das erst ohne Eure Kerze geworden!«
»Schlaf nur, schlaf, hübsche Alizon«, sprach ich, »ich will nur etwas essen gehen, denn ich habe einen Mordshunger, weil wir gestern ohne Abendmahlzeit geblieben sind. Wo finde ich eine Garküche in der Nähe?«
»Es gibt mehrere hier, doch alle sind noch geschlossen«, erwiderte sie mit einem Blick zum Fenster. »Es ist noch zu früh. Trotzdem werdet Ihr in den Straßen schon einen Oblatenmann treffen, der sein Backwerk ausruft, oder einen Bäcker mit Pasteten, aber trinkt um Himmels willen kein Seine-Wasser bei einem Wasserverkäufer! Das ist Gift für die Fremden, obwohl wir gebürtigen Pariser daran gewöhnt sind.« (So erschöpft sie war, sprach sie dies mit einem solchen Stolz, daß man hätte glauben können, die Bezeichnung »gebürtiger Pariser« käme einem Adelstitel gleich.)
»Dank sei dir, Alizon.«
Worauf ihr das Auge zufiel und sie wieder in einen Schlaf versank, der leider wohl nur bis zu Meister Recroches Rückkehr
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