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Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition)

Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition)

Titel: Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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dauern würde. Also wünschte ich inständig, daß Recroche auf seinem Wege durch irgendeine Hinderung bis zur Mittagsstunde aufgehalten werde. Und war höchstlich erfreut, bei meiner Rückkehr zu vernehmen, daß das Schicksal mich erhört hatte.
    Kaum hatten wir das Haus verlassen und saßen auf unseren Pferden, als mein Diener mich um die Übersetzung des lateinischen Sprichwortes bezüglich des Schlafens meiner Brüder bat. Ich erfüllte seinen Wunsch, und die Sentenz gefiel ihm gar wohl, so daß er sie sogleich wiederholte und wiederholte, damit sie sich tief in sein Gedächtnis eingrabe. Mein wackerer Miroul war ganz vernarrt in fremde Sprachen: in das Italienische (zu welchem er Maestro Giacomi Fragen im Übermaß stellte), in das Französische, das er schon mehr recht als schlecht schwatzte, und in die Sprache Ciceros, von der ereiniges verstand, nachdem er mich so oft mit meinen Studiengenossen zu Montpellier hatte disputieren hören.
    Und aus all diesen Brocken, welche Miroul aufgenommen, hatte er einigen Nutzen gezogen, so daß er das Lateinische zuweilen schon verstand, noch ehe es ihm jemand übertrug, wie jenen Abend auf Mespech, als mein Vater mir die Gavachette mit den Worten gegeben:
Ne sit ancillae formosae amor pudori.
1 Und so du die Frage stellst, lieber Leser, was mein Diener mit diesen Bruchstücken anfing, dann antworte ich ohne Umschweife, daß er sie –
mutatis mutandis
– in gleicher Art verwendete wie wir Ärzte, die wir mit unserem Schullatein vor dem erstaunten Kranken zu paradieren pflegen. So liebte es Miroul, sich wie ein Pfau vor einer Hausmagd zu spreizen, mit welcher er anzubändeln suchte, und sich als Gelehrter auszugeben. Es hat mich in manch einer Herberge ergötzt, die Schöne, welche er in einem Treppenwinkel umwarb, sagen zu hören:
    »Oh, Miroul, du sprichst Latein?«
    »Das muß ich doch. Bin ich nicht der Gehilfe und Famulus des gelehrten Doctors der Medizin oder, anders gesagt,
il suo braccio destro
2 ?«
    »Und was ist das?«
    »Italienisch.«
    »Oh, Miroul, du sprichst auch Italienisch?«
    »Einigermaßen«, entgegnete Miroul mit gespielter Bescheidenheit, »und auch etwas Pariser Französisch.«
    Doch mit diesem Französisch konnte er sich nur in Südfrankreich rühmen, denn die Pariserinnen, eingebildet ob ihrer schönen Sprache, hätten ihm schnell das Maul gestopft. Allein, schon nach vierzehn Tagen Aufenthalt zu Paris hatte er es zum Erstaunen weit gebracht dank seinem feinen Gehör und seinem guten Mundwerk, und er machte um so schnellere Fortschritte, da er ein großer Schürzenjäger vor dem Herrn war, was in allen Landen Anlaß zu viel Schwätzerei gibt, zumindest solange nicht die Sprache des Körpers die des Mundes abgelöst hat.
    Ich täte allerdings meinem wackeren Diener unrecht, sollte ich den Glauben erwecken, er wäre um fremde Sprachen nur aus der Ursache bemüht, welche ich soeben dargelegt. Er wares aus sich heraus, seiner ihm eigenen Natur folgend und aus Vergnügen am Erwerb von Wissen dank seinem wachen Verstande; und so hatte er sich sogar in der Medizin vom bloßen Zusehen beim Sezieren einige Anfangsgründe erworben.
    Doch ich will den Faden meiner Erzählung wieder aufnehmen. Als ich Meister Recroches Haus in aller Frühe verließ, trug ich in meinem Wams einen Brief an Monsieur de Nançay, Hauptmann der königlichen Garde, welchen mein Vater, der ihn aus Calais kannte, allwo sie beide unter dem Befehl des Herzogs von Guise gedient, in selbigem Schreiben bat, mir Eintritt in den Louvre zu verschaffen, daß ich dem König mein von Monsieur de Montaigne aufgesetztes Gnadengesuch übergäbe. Da es aber noch viel zu früh am Morgen war, diesem Edelmann meine Aufwartung zu machen, welcher in der Altstadt wohnte, und da sich auch die Kathedrale Notre-Dame auf der so geheißenen Insel befand, wollte ich mich, nachdem ich einige Happen gegessen, zu selbiger Kathedrale begeben, denn ich hatte schon viel von ihren Wundern gehört.
    Wir ritten also die Grand’ Rue Saint-Denis zum Seine-Fluß hinab, welchselbige Straße zu dieser frühen Morgenstunde noch bar jedes Fuhrwerkes, doch nicht ohne Lärm war, denn ich weiß nicht, wie viele fliegende Händler bald hier, bald dort in der Grand’ Rue als auch in den benachbarten Straßen zu sehen waren, welche – einen Korb vor dem Bauch und die notwendigen Dinge für ihren Handel um den Hals gehängt – ihre Waren schreiend oder vielmehr singend in naiven Versen anpriesen, um die Hausfrauen anzulocken,

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