Die guten Frauen von Christianssund: Sommerdahls erster Fall (German Edition)
ich ihre Augen gesehen, und …« Er legte den Zeigefinger quer über seinen Adamsapfel und hielt inne.
»Haben Sie irgendetwas berührt, Herr Helbjørn?«
»Nein. Ich habe ja gesehen, dass sie tot war.« Er schluckte. »Aber meine Schuhe haben natürlich den Boden berührt, und …«
»Welches Telefon haben Sie benutzt, als Sie den Notruf anriefen?«
Kristian Helbjørn hielt ein mikroskopisch kleines Mobiltelefon in die Luft. Es verschwand nahezu in der großen Hand. »Ich bin sofort nach draußen gerannt«, sagte er. »Ich muss zugeben, dass ich ein wenig … ich wusste ja nicht, ob der Mörder noch im Haus war, oder?«
Flemming erhob sich und gab ihm die Hand. »Danke für Ihre Hilfe, Herr Helbjørn. Wenn Sie dem Kriminalbeamten Holck Ihren Namen und Ihre Adresse gegeben haben, können Sie nach Hause gehen.« Er nickte einem jungen Mann in Zivil zu und ging in die Küche, ohne sich noch einmal umzudrehen. Vielleicht hatte er vergessen, dass er Dan mitgenommen hatte? Eigenartiges Erlebnis, Flemming bei der Arbeit zuzusehen, dachte Dan. Er zeigte hier eine wesentlich konsequentere und autoritärere Seite als sonst. Seine Ausstrahlung als Privatperson war zurückhaltend, ruhig, fast ein wenig weich. Weich war jedenfalls das letzte Wort, das man mit Flemmings professionellem Verhalten verbinden konnte. Als wäre er vier bis fünf Zentimeter gewachsen, seit er den Anruf bekommen hatte. Er redete seitdem schneller und mit größerem Nachdruck. Und er ging schneller. Dan musste sich beeilen, um ihm folgen zu können.
Vor der Küchentür stand ein untersetzter, fülliger Mann mit buschigen rötlichen Brauen über den hellgrauen Augen. Fluchend und schimpfend versuchte er, die Schuhe anzubehalten, während er seinen weißen Einweg-Overall auszog. Erst als es ihm gelungen war, blickte er auf. »Torp? Das ging aber schnell.« Es klang, als wäre er außer Atem.
»Werd nicht frech. Bist du fertig?«
»Jep.« Der Mann faltete den weißen Anzug zusammen und warf ihn in eine große Tüte, die an der Küchentür stand. »Frau, Anfang zwanzig, denke ich. Sie wurde mit einer glatten Schnur getötet, wie bei einer Garotte, ungefähr drei Millimeter dick. Tot ist sie seit circa …« Er schaute auf die Uhr. »… anderthalb Stunden. Sie starb ungefähr um halb elf.«
»Vergewaltigt?«
»Sieht nicht so aus. Ich obduziere sie morgen. Dann wissen wir mehr.« Er griff nach einer abgewetzten dunkelbraunen Arzttasche und ging auf den Ausgang zu. »Bis morgen.«
Flemming sah ihm nach. Dann wandte er sich an Dan. »Svend Giersing. Alter Rechtsmediziner, unglaublich tüchtig. Ein Menschenalter lang war er Professor für Rechtsmedizin. Dann hat er sich zurückgezogen, um zu forschen, aber wir haben eine Vereinbarung mit ihm, dass er uns hilft, wenn es um lokale Todesfälle geht.« Er blieb vor der Küchentür stehen. »Wie weit seid ihr? Darf ich reinkommen?«
James Bond kam zu ihnen und schob die Maske von seinem Mund. »Dann musst du dir einen Schutzanzug anziehen. Die Techniker sind noch nicht ganz fertig.« Ein weißer Overall versteckte nun seinen Smoking, ein Haarnetz bedeckte sein braunes kurz geschnittenes Haar. An den Händen trug er dünne Latexhandschuhe, die Schuhe steckten in ein paar hellblauen Plastikfutteralen.
Flemming drehte Dan den Kopf zu. »Dan, das ist Kriminalassistent Frank Janssen. Janssen, das ist mein guter Freund Dan Sommerdahl, der zufällig hier arbeitet. Er kann das Opfer hoffentlich identifizieren.«
Der junge Polizist gab ihm die Hand, während er Dan mit einem forschenden Blick betrachtete. Er sah seinen Chef an.
»Du hast vollkommen recht, Janssen«, erwiderte Flemming auf dessen unausgesprochene Frage. »Aber ich bin mit Dan seit 18 . 00 Uhr zusammen gewesen, er hat das denkbar beste Alibi.«
Frank lächelte jetzt etwas entspannter und holte Overalls und Handschuhe für Flemming und Dan.
Absurd, dachte Dan. Ich stehe am Tatort eines Mordes, ein Polizist stinkt nach Irish Coffee, der andere trägt einen Smoking. Und jetzt grüßen wir uns auch noch freundlich. Um Gottes willen … In diesem Moment fiel sein Blick durch die offene Küchentür auf Lillianas Leiche, und er vergaß alles, die Ironie der Situation und auch sein eigenes physisches Unbehagen. Er verstand jetzt, warum Kristian Helbjørn gedacht hatte, Lilliana sei übel geworden. Mit abgewandtem Gesicht lag sie halb auf der Seite, den linken Arm über dem Ohr, als versuchte sie, einzuschlafen und irgendeine lärmende Musik
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