Die guten Frauen von Christianssund: Sommerdahls erster Fall (German Edition)
Jyllandsgade gewohnt. Ganz oben.« Das Mädchen griff nach einem hellblauen Lappen und wischte über die Theke, obwohl sie, soweit Dan es beurteilen konnte, funkelnd sauber war.
Er legte Trinkgeld in eine kleine Schale, die man vermutlich zu diesem Zweck aufgestellt hatte, und ging zur Tür. Kurz bevor er sie erreichte, drehte er sich um: »Haben Sie jemals Sallys Freundin Lilliana kennengelernt?«
»Ach, so heißt sie? Sehr langes dunkles Haar. Braune Augen, nahezu kreideweiße Haut, hohe Wangenknochen, langweilige Klamotten, die sie fünfzehn Jahre älter aussehen ließen.«
»Ganz genau.«
»Sie hat Sally ein paarmal nach der Arbeit abgeholt. Ich glaube, sie wohnen zusammen.« Das Mädchen hielt mitten in der Bewegung inne. »Lilliana? Ist das nicht die Frau, die gestern ermordet wurde?«
»Ja.« Dan verschwand aus der Tür, bevor bei der armen Kellnerin der Groschen fiel. Er tippte Flemmings Nummer in sein Handy, diesmal antwortete der Kommissar.
»Ich habe Lillianas Adresse für dich«, sagte Dan.
»Wie zum Teufel hast du …?« Im Hintergrund ein gewaltiger Radau, Flemming war so gut wie nicht zu verstehen. Dan hörte, wie er vor die Tür ging, es stürmte.
»Wo bist du?«, erkundigte er sich.
»Ich stehe vor der … bin in einer Sitzung …« Der Lärm am Telefon war kaum zu ertragen, der größte Teil ihres Gesprächs ging knisternd und sausend unter.
»Kannst du zu mir kommen, wenn ihr fertig seid? Dann kann ich dir beim Essen alles erzählen.«
Flemming sagte ein paar Sekunden nichts, und Dan glaubte schon, die Verbindung sei definitiv unterbrochen. Dann legte sich der Hintergrundlärm ein wenig, und die Stimme des Polizisten war wieder zu verstehen: »So, jetzt bin ich wieder reingegangen. Was hast du gesagt?« Dan wiederholte die Einladung und Flemming lachte. »Beförderst du dich selbst zum Kriminalbeamten?«
»Stell dir mich einfach als den irritierenden Privatdetektiv vor, der ständig im Weg steht und die Arbeit der Polizei stört, aber am Ende derjenige ist, der den Mörder entlarvt.«
»… wenn alle Verdächtigen vor dem Kamin in der Bibliothek versammelt sind«, ergänzte Flemming. »Gib mir Lillianas Adresse, damit ich jemanden beauftragen kann, die Wohnung zu untersuchen. Ich bin in ungefähr anderthalb Stunden bei dir, Dan.«
Es war inzwischen 16 . 00 Uhr, die Dämmerung legte sich über die Gørtlergade. Die gelb erleuchteten Vierecke der Fenster verrieten, wer heute schon früher von der Arbeit nach Hause gekommen war. Im Haus Nr. 6 holten sich die Bewohner offenbar einen Vorschuss auf weihnachtliche Gemütlichkeit und hatten in allen Fenstern rote Kerzen angezündet. Der Anblick der lebendigen, tanzenden Flammen berührte Dan aus irgendeinem Grund. Er schloss die Haustür auf und zog den Mantel aus.
Marianne kam in den Flur und zog die Wohnzimmertür hinter sich zu. »Benjamin Winthers Mutter ist gerade gekommen. Sie sitzt im Wohnzimmer.«
»In
unserem
Wohnzimmer?«
»Nein, im Wohnzimmer der Nachbarn!« Sie stupste ihren Mann vor die Brust. »Hör mir doch einmal zu, du Klapskopf. Dein guter Freund Flemming hat den Jungen in eine Zelle auf dem Präsidium gesperrt, weil er sich weigert zu erklären, warum er die Polizei nicht angerufen hat, als er Lillianas Leiche fand. Seine Mutter sitzt hier, weil sie und Benjamin meine Patienten sind. Ich bin eine der wenigen, die ihre Geschichte kennen, und weiß, dass ihr verrücktes Verhalten einen vernünftigen Grund hat. Ich versuche sie gerade davon zu überzeugen, alles der Polizei zu erzählen, aber auf die ist sie wirklich richtig wütend.«
»Flemming kommt in einer Stunde«, unterbrach Dan.
»Hierher?«
Er nickte.
»Du meine Güte! Gut, dass du es sagst.« Marianne zog an einer Strähne ihres widerspenstigen Ponys, während sie nachdachte. »Okay, dann fahre ich Alice jetzt nach Hause und rede dort mit ihr weiter. Ich hoffe, ich kann sie dazu bringen, sich Flemming anzuvertrauen. Aber leicht wird das nicht.«
»Hat Benjamin irgendetwas angestellt?«
»Etwas Kriminelles meinst du? Überhaupt nicht.« Marianne legte die Arme um den Nacken ihres Mannes und gab ihm einen Kuss auf den Mund – ein bisschen länger als gewöhnlich. »Du bringst mich nicht dazu, meine Schweigepflicht zu verletzen, egal, wie sehr du auch bohrst. Aber ich muss zugeben, dass es verlockend ist, wenn der attraktive Detektiv so nett fragt.« Ihre Lippen streiften seine Wange. »Ich glaube, es ist eine gute Therapie für dich, ein bisschen
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