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Die guten Schwestern

Die guten Schwestern

Titel: Die guten Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Davidsen
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den Duft von Tabak und das schwere Parfüm der Frauen und an meine Mutter und meinen Vater als Mittelpunkt geistvoller Konversation auf dänisch und deutsch. Dieser merkwürdigen, zugleich harten und weichen Sprache. Besonders meine schöne Mutter zog die gutaussehenden Männer an. Aber meinen Vater hatte ich nun mal am liebsten. Er war groß und schlank und bewegte sich mit Würde. Es wirkte so selbstverständlich, wenn er von Menschen sprach, die zum Führen auserwählt seien, und sagte, daß die nordische Rasse den übrigen überlegen sei. Es klang so wahr, wenn es von seinen schönen Lippen kam. Vielleicht kann ich mich in Wirklichkeit gar nicht daran erinnern? Vielleicht ist das nur etwas, was ich mir angelesen habe. Mein Wissen ist ja auch auf diesem Gebiet nur ein Produkt meiner Lektüre. Aber ich erinnere mich nun einmal an ein Gefühl des Wohlbefindens. Vielleicht habe ich es nur aus den Briefen, die ich vor mittlerweile vielen Jahren fand, als meine Mutter ins Pflegeheim kam und ich als ältestes der Kinder aufräumen mußte. Ich war knapp vier, als Vater auf Heimaturlaub war. Ich kann mich nur noch daran erinnern, daß er mager und seine Haut grau geworden war und daß seine Hände zitterten. Und an die Stimmen aus dem elterlichen Schlafzimmer des Hauses, das wir damals bewohnten. Sie waren laut und schrill, und ich weiß noch, wie meine Mutter weinte und mein Vater schwer hustete. Früher waren Nachbarn und Freunde zu unserem Haus geströmt, um Lieder zu singen und Reden zu hören. Aber diesmal kam fast keiner und besuchte uns. Und trotzdem ging das Leben irgendwie weiter. Alle benahmen sich wie immer. Handelten mit den Deutschen, verrichteten ihre Arbeit, gehorchten den Aufforderungen der Regierung, sich ruhig zu verhalten. Aber es war, als hätte uns eine schlimme Krankheit ereilt. Als wären die guten Zeiten vorbei. Obwohl Vater und die anderen mit der Unterstützung und dem Segen der Regierung in den Krieg gezogen waren. Bei Musik und Paraden und mit Rundfunkansprachen. Später wurde mir die ganze Geschichte natürlich klar, aber als Kind fühlte ich mehr mit dem Herzen als mit dem Verstand, wie sich alles langsam und unmerklich veränderte und Verrat und Heuchelei überall Einzug hielten. Wie die Großen es verstanden, ihre Schäfchen ins trockene zu bringen, weil es ihnen gelang, die Kleinen zu opfern, damit der Pöbel, als der Krieg vorbei war, seinen Rachedurst stillen konnte.
    Aber dort auf dem Leiterwagen 1952 war der Krieg weit weg. Zwar war das Land arm und gezeichnet, aber es lag etwas in der Luft. Wir waren in die neue Stadt gezogen, wo uns niemand kannte, und die Dänen schienen eher an einem besseren Leben als an sonst etwas interessiert zu sein. Die meisten politischen Gefangenen waren entlassen worden, und wenn jemand aus der Gegend die Vergangenheit meines Vaters kannte, dann hielt er seinen Mund, weil er selber ein Teil dieser Vergangenheit war. Wir wohnten in einem großen weißen Haus mit vielen Zimmern. Es lag direkt neben der Bäckerei, wo zwei Gesellen und ein Lehrling arbeiteten. Wir hatten einen Fahrer, der das Brot zu den verschiedenen Höfen brachte. Wir verwalteten auch ein Kühlhaus, in dem die Leute ihre halben oder ganzen Schweine aufhängten. Zu Weihnachten duftete das ganze Haus nach Schweine- und Entenbraten. Und zwar nicht nur aus Mutters Küche, sondern auch aus der Bäckerei, wenn die Leute mit ihrem Weihnachtsbraten kamen und ihn in den großen Backöfen schmoren ließen. In Europa lagen Städte und ganze Nationen noch immer in Ruinen, aber Dänemark war wieder einmal fast ohne Narben davongekommen, weil die Dänen das Talent besitzen, sich anzupassen und das Beste aus der jeweiligen Situation zu machen. Es war eine gute Zeit, in der meine Mutter wieder anfing, sich schön zu machen und Parfüm zu tragen und aus dem Schlafzimmer Lachen erklang und seltsame, sowohl bedrohliche als auch schöne, verführerische Laute von dort zu hören waren. In dem Sommer vor der herbstlichen Treibjagd engagierte Vater einen Fotografen, der das Haus samt Bäckerei aus der Luft aufnehmen sollte. Man konnte das rote Ziegeldach und die Ulmen in unserem großen Garten sehen, an die ich mich so gut erinnere, als die kleine Propellermaschine über das Haus meiner Kindheit hinwegflog. Es war ein richtig warmer Sommertag, alles duftete, und die Luft war von summenden Insekten nur so erfüllt. Wir hatten uns vor dem Haus aufgestellt, und Fritz trug Bäckerkleidung wie die von Vater, denn es

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