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Die guten Schwestern

Die guten Schwestern

Titel: Die guten Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Davidsen
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an den Stammtischen viel davon gesprochen, daß er anfangs wohl etwas reichlich verdient habe, dann aber dafür gesorgt habe, die Verbindungen zu kappen, ehe es zu spät war. Und daß die großen Tiere ohnehin immer ihre Schäfchen ins trockene brächten. Ich verstand die Andeutungen der Erwachsenen nicht immer, obwohl ich ein Kind war, das viel beobachtete. Denn woran ich mich am deutlichsten erinnere, ist, daß diejenigen, die nun ständig als Helden hervorgehoben wurden, bei uns zu Hause als die Schurken galten, welche die Notwendigkeit eines neues Europas unter Deutschlands Führung nicht einsahen. Hatte Staatsminister Stauning seinerzeit nicht selber gesagt, daß sich Dänemark der deutschen Planwirtschaft unterordnen müsse, die auch ein Schutz vor dem furchtbaren Kapitalismus sein würde? Aber davon redete man nicht mehr. Jetzt schien es am besten zu sein, alles hinter sich zu lassen und von neuem anzufangen. Das wurde uns Kindern nicht direkt gesagt, aber Fritz und ich verstanden, daß wir mit anderen nicht über den Krieg sprechen sollten. Da käme nichts Gutes bei heraus. Teddy wußte sowieso nichts und erfuhr auch nie etwas. »Wer nach dem Krieg geboren ist, braucht damit nicht belästigt zu werden«, sagte Mutter später zu Fritz und mir.
    Ein Jagdhelfer des Grafen kam zu uns und fragte freundlich, ob wir Kaffee und Brot bekommen hätten. Denn dann würde der Graf gern beim ersten Tageslicht mit der Jagd beginnen. »Dann bring sie zum Vesteras-Gatter, Niels Ejnar Jensen«, sagte er und grüßte, indem er an seine Schirmmütze tippte. Wie die anderen Männer trug er das Jagdgewehr geöffnet überm Arm und hatte die Patronen in der Tasche, die über dem grünen Mantel hing. Drüben bei den Jägern erscholl lautes Lachen, man klopfte sich gegenseitig auf die Schulter – es war genau dieses lärmende, verschwörerische Männergehabe, das mich später wahnsinnig machen konnte. Diese maskuline Arroganz, als glaubten sie wirklich, sie seien das starke Geschlecht und ihnen gehöre die Welt.
    Aber an diesem Morgen fand ich es ganz natürlich. Wir kletterten wieder auf den Leiterwagen, und Niels Ejnar fuhr uns zur nördlichen Flurgrenze. Dort hielten schon zwei andere Trecker mit Wagen aus der Nachbargemeinde. Vor uns lagen Stoppelfelder mit schmalen Gräben und zufällig verteilten Weihern, fast wie Pfützen, die der Herbstregen hinterlassen hatte. Wegen des Wilds ließ der Graf niedriges Gestrüpp und kleine Hecken zwischen den Feldern stehen und wartete an manchen Stellen mit dem Pflügen, bis die erste Treibjagd vorüber war. Weiter draußen hinter dem ersten Eschenwäldchen erstreckten sich feucht und dampfend die Wiesen. Am Horizont lag der Wald und dahinter weitere Felder. Am äußersten Rand des Gebiets, das wir heute noch erreichen wollten, begann das Moor. Die Jagdhelfer hatten die Routen gemeinsam mit dem Grafen bestimmt, damit das Revier möglichst sorgfältig und erfolgreich durchkämmt werden konnte. Es sollten Hasen und Fasanen geschossen werden, und falls man Reineke Fuchs traf, war das auch nicht verkehrt. Ich wußte, daß ein toter Fuchs die Männer besonders prahlen ließ, wenn am Abend die Strecke gelegt und das Wild bewundert wurde. Wir mußten uns mit einem Jagdhelfer in der Mitte und jeweils einem an den Flügeln in einer langen Reihe aufstellen. Letztere sollten die Treiberkette zusammenhalten, damit das Wild nicht hindurchschlüpfte. Die dunkelbraunen Jagdhunde der Helfer winselten und zerrten an den Leinen, so angespannt und erregt waren sie. Vielleicht ebenso wie wir, obwohl es mir innerlich weh tat, wenn das Wild getroffen wurde, aber das hätte ich niemals zugegeben, weder mir selbst noch Vater gegenüber.
    Die Jagdhelfer stellten uns wie Soldaten in einem altertümlichen Krieg in Reih und Glied auf. In dem grauen, kalten Morgenlicht sahen wir, wie sich die Jäger auf einer Linie am nächsten Feldrain plazierten. Sie standen in großen Abständen. Ihre Jagdgewehre ruhten über ihren Ellbogen, und obwohl sie weit weg standen, konnte ich sehen, wie die Atemluft um ihre Gesichter wirbelte. Ganz außen auf der rechten Seite konnte ich Vater erkennen. Dann erklang in der Ferne ein Jagdhorn, klagend und laut. Als das Horn über den ebenen Feldern verhallte, ertönten die Pfeifen der Jagdhelfer. Wir schritten voran und klatschten dabei in die Hände. Einige Jungs schlugen zwei Hölzer gegeneinander, aber die Treiberkette machte so viel Lärm, wenn wir durch die triefende Erde wateten, daß

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