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Die guten Schwestern

Die guten Schwestern

Titel: Die guten Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Davidsen
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sogar in Schnee übergehen könnte. So wie im dänischen Herbst manchmal ein verfrühter Winter Einzug hält. Der weiße, weiche Schnee, der die Welt so still und schön macht, aber irgendwie falsch ist, wenn wir uns schon auf den Frühling freuen.
    Darf ich den Tag mit Dir teilen?
    Es war kein Frühlingstag, sondern ein Herbsttag. Es war sehr früh am Morgen. Ich war zwölf Jahre alt und saß mit anderen Kindern zwischen zwölf und sechzehn auf einem Leiterwagen, der von einem dunkelgrauen Trecker gezogen wurde. Einer der ersten Ferguson-Traktoren, die nach Dänemark gekommen waren. Damals, 1952, erregten sie Aufsehen in einem Land, das noch auf vielen Gebieten vom Krieg gezeichnet war und wo die Wagen normalerweise von Pferden gezogen wurden. Niels Ejnar fuhr den Trecker. Wir sahen seinen Nacken unter der fettigen Schirmmütze, und ab und zu trieb der Wind den Duft seines Pfeifentabaks zu uns auf den Wagen hinunter. Den Duft von Virginiatabak, der noch neu für uns war, aber reich und sinnlich im Vergleich zu dem merkwürdigen Kraut, das die Erwachsenen während des Krieges geraucht hatten. Die großen Räder des Treckers pflügten sich durch die tiefen, schlammigen Spurrillen, und der Wagen schwankte, als befänden wir uns auf einem Schiff. Wir hatten dicke Hosen und Pullover an und Strümpfe in langen Gummistiefeln. Es war ein kalter Morgen, aber mit dieser scharfen Frische in der Luft, die einen froh macht, daß man lebt. Es war noch dunkel, aber das Licht lag wie eine dünne, feine Borte am Horizont, wo die kahlen Bäume langsam wieder Form annahmen und zum Leben erwachten. Irgendwo in den aufgeblähten Wolken lauerte der Regen.
    Niels Ejnar war ein kräftiger Mann Anfang Dreißig mit einem langen, kahlen Kopf und kleinen, blauen Augen. Er hatte eine kleine Häuslerstelle mit seinem Bruder draußen bei den Weihern, nicht weit vom Moor, am Strand, wo die Wiesen in alte grasbewachsene Deiche übergehen. Er war anscheinend Vaters Freund, sie hatten irgend etwas gemeinsam und warfen sich oft besondere Blicke zu. Er sagte nicht viel, aber das taten die Leute damals eben nicht. Er machte seine Arbeit und hatte ein hartes Brot, wie man so sagte. Zusammen mit seiner dürren, langen Frau mit dem schmalen, pickelnarbigen Gesicht, die uns angst machte, als wir kleiner waren, weil wir fanden, sie ähnele der Hexe in Hänsel und Gretel.
    Es war ein Morgen voller Erwartungen. Mein jüngerer Bruder Fritz saß mir gegenüber, neben dem Sohn des Anwalts, Peter, der nur für die gleichaltrige Bente Augen hatte. Obwohl Fritz erst neun war, hatte er auf die erste große Jagd im Herbst, die der Graf veranstaltete, als Treiber mitkommen dürfen. Deshalb saßen wir Jugendlichen auf dem Leiterwagen, wir waren auf dem Weg zu unserer ersten Etappe, mit der Aussicht auf Limonade und Hefeteilchen und einen Taler am Ende des Tages. Ich war ganz erhitzt und gespannt und froh bei dem Gedanken, meinen Vater mit den anderen zusammen zu sehen, vornehmen Männern aus der Gegend und Gästen, die der Graf sogar aus Kopenhagen eingeladen hatte. Der Graf war ein langer, magerer Mann mit einem kleinen Spitzbart, was für die damalige Zeit ungewöhnlich war. Er war ein sonderbarer, abwesender Mann, der auf seinem Gut außerhalb der Stadt wohnte. Wie bei so vielen anderen gab es auch bei ihm irgendeine Sache, die mit dem Krieg zu tun hatte. Wahrscheinlich hatte er wie die anderen Bauern gutes Geld verdient, indem er den Deutschen Lebensmittel verkaufte, aber 1944 hatte der Graf seine Gesinnung geändert, und weil er zwei englischen Piloten Unterschlupf gewährt hatte, ist er nach dem Krieg, als allen die Rechnung gemacht wurde, mit heiler Haut davongekommen, wie meine Eltern sagten. Er war auf seinem Land geblieben. Wir waren auf das milde Fünen gezogen und hatten die Bäckerei übernommen, die billig zum Verkauf stand. »Die Kameraden haben uns geholfen«, sagten Vater und Mutter. Es war am besten, wenn keiner die Vergangenheit kannte. Vaters Foto mit der schwarzen Uniform wurde bereits 1944 versteckt, obwohl er gar nicht zu Hause war. Sie sprachen nie vom Krieg oder davon, wo er gewesen war. Warum er nach seinem Heimaturlaub 1943 mit einem Mal verschwunden war. Fritz war aus diesem Besuch hervorgegangen. Und warum er Ende 1947 plötzlich wieder aufgetaucht war. Mein jüngster Bruder Teddy war das Ergebnis der Heimkehr.
    An die Kriegszeit habe ich keine besonderen Erinnerungen. Nur an so ein Gefühl von Glück, an die Uniformen, Lieder und Reden und

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