Die guten Schwestern
bei einigen wenigen Tropfen. Und plötzlich brach die Sonne durch die Wolkendecke, die sich teilte, als hätte der liebe Gott mit einem Brotmesser hindurchgeschnitten. Vater kam zu Fritz und mir und fragte, wie es uns gehe. Ob uns warm sei und wir trocken geblieben seien. Dann drückte er mir leicht den Oberarm, als verstünde er, daß mir der Hase leid tat, und als wüßte er, daß ich das keinem zeigen konnte, weder ihm noch sonst jemandem. Fritz war ja eigentlich der Kleinere, aber seine Wangen glühten, und seine Augen glänzten. Er war fast so groß wie ich, und es war deutlich zu sehen, wie sehr er nach seinem Vater kam. Die Jagdhelfer kamen herbei und sagten, wir sollten uns langsam fertigmachen und auf den Wagen klettern. Denn vor dem Mittagbrot um eins sollten wir gern noch ein paar weitere Reviere schaffen. Wir saßen auf, und Niels Ejnar fuhr uns zu unseren neuen Positionen. Wir waren richtig guter Stimmung und sangen die Lieder, die wir morgens in der Schule sangen, während wir auf dem von Löchern übersäten Feldweg dahinholperten. Und so ging es bis zum Essen.
Wir standen oder saßen in der hohen Scheune und aßen unsere Brote und tranken Limonade, während die Herren ihr Essen im Rittersaal des Hauptgebäudes zu sich nahmen. In der Scheune roch es nach Öl und Stroh. Bis auf einen alten Mähbinder, der von Spinnweben bedeckt in einer Ecke stand, als hätte ihn eine Märchenfee in feinste Seide gepackt, waren alle Wagen und Maschinen hinausgefahren worden. Da kam Peters Vater mit seinem Gast aus Kopenhagen an. Peter richtete sich plötzlich auf, fuchtelte pausenlos mit den Armen und platzte beinahe vor lauter Stolz, als wir wie auf Kommando hinausstürmten, um das Auto zu bewundern. Sein Vater kam in einem langen, niedrigen blauen Buick mit großen Schwanzflossen und einem geschwungenen Kühler herangerauscht. Langsam glitt er an der Scheune und uns glotzenden Kindern vorbei Richtung Hauptgebäude. Die großen, breiten Räder mit den weißen Rändern knirschten im Kies, als der Wagen eine alte Eiche umkurvte und vor der ausladenden Treppe hielt, die zu einer zweiflügligen Haustür hinaufführte. Der Graf kam mit seiner Gattin heraus, einer mageren Frau mit großen klimpernden Armreifen und roten Haaren. Das Gesicht des Grafen glühte vom Schnaps und der Wärme drinnen im Hause. Er hatte die Jacke abgelegt und stand in Hemdsärmeln da. Die breiten Hosenträger hielten die Hose auf den schmalen Hüften und dem kleinen Gesäß. Der Gast stieg aus dem Auto von Peters Vater. Er war ein wettergegerbter Mann mittleren Alters mit grauem Haar und faltigen Wangen. Er trug Jagdkleidung: dunkelgrüne Knickerbocker und Stiefel, halblanger Mantel und Jagdmütze. Der Graf ging ihm ein paar Stufen entgegen, so daß sie sich auf der Mitte der Treppe trafen. Sie gaben sich die Hand, und obwohl ich nicht hören konnte, was der Graf sagte, war es deutlich, daß der neue Gast herzlich willkommen geheißen wurde. Peters Vater stand ein paar Stufen tiefer und glich einem Zauberkünstler, der den vornehmen Gast durch reine Magie aus dem Nichts herbeigeschafft hatte. Wir Kinder glotzten, ganz benommen von dem Anblick und dem Ereignis. Denn hier stand eine richtige Berühmtheit. Wir hatten Bilder von ihm in der Zeitung gesehen, über ihn gelesen und im Rundfunk von ihm gehört. Er war einer der echten vaterländischen Helden, der in den fünf düsteren Jahren tapferen Widerstand geleistet hatte und Mitglied des Freiheitsrates gewesen war. Es wurde auch von ihm erzählt, er habe mehrere Verräter persönlich erschossen. Denunziantenliquidierungen nannten sie es im Rundfunk. Einem Helden sah er nicht ähnlich. Eher einem etwas verlegenen Bankangestellten oder Schullehrer. Einem, der Religion oder Erdkunde unterrichtete und gern eine Ohrfeige verteilte, aber ohne daß es etwas machte, weil er nicht sonderlich fest zuschlug. Man sah ihm nicht an, daß er Menschen getötet hatte, und noch dazu kaltblütig. Irgendwie dachte ich, daß man das einem Menschen auch äußerlich ansehen müßte. Eine besondere Aura von Mord und Totschlag, aber dies war hier nicht der Fall. Zu dieser Zeit wußte ich ja auch noch nicht, daß Vater sicher mehr Tod und Elend gesehen und vermutlich auch viel mehr Leben auf dem Gewissen hatte als alle anderen Anwesenden zusammen. Ein Gedanke, mit dem anzufreunden mir immer noch nicht recht gelingen will, weil unser Vater so alltäglich wirkte. Ein alltäglicher Bäcker mit weißer Kleidung und umgeben von
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