Die guten Schwestern
einem Duft von Mehl und Pfeifenrauch.
Die drei Herren und die Dame betraten das Gebäude, und die weiße Flügeltür wurde hinter ihnen geschlossen, und wir gingen zu unseren letzten Schwarzbrotstullen und einer letzten Limo und dem Tee zurück, der nun auch für uns ausgeschenkt wurde. Der Graf war stolz darauf, daß er immer gut für seine Bediensteten und seine Treiber sorgte. Auf der ersten großen Jagd des Jahres dürfe es an nichts fehlen, wie er immer sagte. Wir aßen auf, und wir Mädchen klatschten und tratschten, während die Jungs sich produzieren mußten und anfingen, in der großen Scheune Widerstandskämpfer und Deutsche zu spielen. Da kam Vater aus dem Haus und lief die Treppe herunter. Sein Gesicht war weiß, und seine Hände zitterten. Er kam geradewegs in die Scheune, packte mich fest am Arm und fragte mit einer kalten und fernen Stimme, wo Fritz sei.
»Er spielt, Vater«, sagte ich.
»Such ihn!«
»Was ist denn, Vater?«
»Such ihn, hab ich gesagt!«
»Du drückst so fest, Vater. Das tut weh«, sagte ich.
Er ließ meinen Arm los. Einen Moment lang konnte ich eine seltsame Verwirrung in seinen Augen bemerken, dann verwandelte sich sein Gesicht wieder in eine blaßgraue Maske. Ich rannte in die hinterste Ecke der Scheune, wo Fritz mit einem Stock in der Hand, der ein leichtes MG darstellte, eine Gruppe Deutsche niederkämpfte. Die Jungs machten MG-Geräusche mit dem Mund, zwischendurch riefen sie, der andere sei tot und müsse umfallen. Die Deutschen hatten sich hinter dem Mähbinder verschanzt, der ein Bunker sein sollte, wie wir ihn an der Nordsee gesehen hatten.
»Fritz, komm her!«
Er machte »tak-tak-tak« und warf eine imaginäre Handgranate zu den Deutschen hinüber und prustete durch die Nase, um den Flug einer Granate nachzuahmen, bevor er das Explosionsgeräusch imitierte.
Ich packte ihn.
»Vater hat gesagt, du sollst kommen!«
»Ich spiele.«
»Und zwar jetzt!«
Er sah mir an, daß ich erregt war. Er ließ seinen Stock sinken und trottete hinter mir her. Vater stand im Scheunentor und hatte weder einen Blick für die Jagdhelfer noch für die anderen Kinder. Er schien überhaupt nicht anwesend zu sein. Die meisten Kinder bemerkten nichts, aber ich konnte sehen, daß die Helfer zu ihm hinüberschielten. Was machte einer der Herren während des Essens in der Scheune? Das war wirklich nicht normal. Warum war er so blaß? Eine Blässe, die seine schwarzen Bartstoppeln deutlich hervortreten ließ, obwohl er sich heute früh, bevor wir losgefahren waren, so gründlich rasiert hatte. Wir hatten nämlich seinen Rasierschaum in der kleinen Schale schlagen dürfen, bevor er sich damit übers Gesicht fuhr und zur Feier des Tages eine ganz neue Klinge benutzt hatte.
»Los«, sagte er bloß, als ich Fritz anschleppte. Er ging mit so raschen und langen Schritten vor uns her, daß Fritz und ich fast laufen mußten, um ihm bis zu unserem Bäckerauto folgen zu können. Wir kletterten neben ihn auf den Sitz. Er legte den Rückwärtsgang ein, und dann fuhr er los. Jetzt bemerkte ich, daß Fritz genauso unruhig wurde wie ich. Wir wußten ja, daß Erwachsene oft unberechenbar waren und ihre Laune sich rasch ändern konnte, aber wir waren es nicht gewohnt, ihn so verschlossen und kalkweiß und mit zitternden Händen zu sehen. Er saugte heftig an seiner Zigarette und fuhr die schmalen Straßen viel zu schnell entlang, und ich fühlte, wie mir die Tränen hochstiegen.
»Was ist denn, Vater?« sagte ich furchtsam.
»Nichts. Sei still«, sagte er, und dann begannen meine Tränen zu fließen.
»Hör auf mit der Flennerei!« herrschte er mich an, so daß auch Fritz zu weinen anfing, weil er ebensowenig wie ich verstand, was da eigentlich vor sich ging. Eben noch waren wir ein Teil der Gemeinschaft gewesen und hatten Würstchen gegessen und Limonade getrunken, während Vater es sich mit den anderen Herren gemütlich machte. Und im nächsten Augenblick waren wir ohne eine Erklärung aus diesem Traum gerissen worden. Vater war mit vom Wind geröteten Wangen zum Essen gegangen, hatte uns zugeblinzelt und die anderen Männer mit einer kleinen Bemerkung zum Lachen gebracht. Und war mit kalkweißem Gesicht und zitternden Händen zurückgekommen.
»Jetzt hört ihr beide mit der Flennerei auf!« sagte er mit echter Wut. Der Wut, mit der er uns sonst ausschimpfte, wenn wir irgendein Unheil angerichtet hatten oder nicht auf unsere Mutter hörten. Er hat uns nie geschlagen, aber vor seiner Wut hatten wir
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