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Die guten Schwestern

Die guten Schwestern

Titel: Die guten Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Davidsen
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den Brötchen und dem Weißbrot anzufangen. Und doch war dieser Tag anders als sonst. Das begriff ich sofort. Er pfiff nicht. Gewöhnlich pfiff er vor sich hin, wenn er die Treppe hinunterging, nachdem ich die Spülung im Badezimmer gehört hatte, das gleich neben meinem Zimmer lag. Normalerweise schlief ich wieder ein, wenn ich sein Pfeifen gehört hatte, aber an diesem Morgen fand ich keinen Schlaf mehr. Ich lag in meinem Bett und hörte mein Herz so heftig schlagen, daß ich Angst hatte, es würde mir aus der Brust springen. Aber um meine Mutter nicht zu beunruhigen, blieb ich liegen, bis sie mich wie immer um sieben Uhr weckte, damit ich pünktlich in die Schule kam. Ich hatte die Augen geschlossen und hörte ihre Schritte im Flur und machte sie erst auf, als sie sagte: Guten Morgen, mein Mädchen. Hast du gut geschlafen? Na, dann steh mal auf! Ihre Stimme war fast wie immer, aber nur fast. Es war, als wären Glasscherben darin, eine Zerbrechlichkeit, die ich nicht kannte.
    Und mir und auch Fritz wurde rasch klar, daß etwas nicht stimmte. Vielleicht nicht über Nacht, aber peu à peu wurden die Kunden im Geschäft weniger, und ich merkte, daß immer weniger Brote und Kuchen und Hefegebäck auf die Regale hinten im Bäckerauto geladen wurden, wenn der Fahrer auf seine tägliche Fahrt gehen sollte. Auch er pfiff nicht mehr wie sonst, wenn er in einem großen Bogen vom Hof fuhr. Man sagte in der Gegend, es sei wohl besser, sich von Bäckermeister Pedersen fernzuhalten. Selbstverständlich wurde das nicht offen ausgesprochen. In der Regel sind die Dänen nicht sehr direkt. Nicht, wenn es um etwas Unangenehmes geht. In den kleinen Grüppchen, auf den Bauernhöfen und in den Handwerker- und Arbeiterhäusern wurde geflüstert und getuschelt. Man war sich im stillen einig, daß ordentliche Leute dort nicht mehr einkauften. Denn er ist auf der verkehrten Seite gewesen. Das waren andere auch, aber wenn sich die Aufmerksamkeit auf den Bäcker richtete, dann ließ sie bei anderen nach. Und falls man womöglich ein wenig zu spät eingesehen hatte, daß das neue Europa nun doch nicht kam, war das noch ein zusätzlicher Grund, das Geschäft zu meiden und lieber bei einem Bäcker im Ort einzukaufen – bis auf weiteres jedenfalls. Nur einige Kunden hielten uns die Stange. Die Wohlhabenden oder die Gleichgültigen oder diejenigen, die nicht auf Gerüchte hören wollten oder vielleicht die Episode beim Jagdessen des Grafen nicht kannten. Es waren die Menschen, denen die Vergangenheit egal war. Denn ganz gleich was man sagte: In der ganzen Gegend wurde kein besseres Brot gebacken als das, das Pedersen aus seinem Ofen zog. Dann mußte Vergangenheit eben Vergangenheit bleiben. Das sagten die Menschen, die unter keinen Umständen auf das Gerede und die Ansichten der Leute hörten. Aber natürlich war es nur eine Minderheit, die gegen den Strom zu schwimmen wagte.
    Daß ziemlich bald die Polizei vor der Tür stand, machte die Sache nicht besser. Und zwar nicht etwa der Ortspolizist Karlsen, sondern gleich zwei Beamte aus Odense. Obwohl sie in Zivil und freundlich und höflich waren, trug es noch weiter zu den Gerüchten bei. Ich weiß nicht, worüber sie mit Vater sprachen, aber nach einer Stunde fuhren sie wieder. Mutter sagte uns später, sie seien, wie sie sagten, verpflichtet gewesen, mit ihm zu sprechen. Vater war angezeigt worden, aber obwohl er in der Kartei stand und an der Ostfront gewesen war, hatte er keine kriminellen Handlungen auf dänischem Boden begangen. Sein Zwist mit der Gesellschaft war ein abgeschlossenes Kapitel. Seine Kameraden hatten einige Jahre Gefängnis bekommen, waren aber alle längst entlassen. Es sei denn, sie waren für Taten verurteilt worden, die sie auf dänischem Boden begangen hatten. Und in der Beziehung hatten sie gegen Vater nichts in der Hand. So daß die Kriminalbeamten mit den Worten gegangen waren, Vaters Sache sei schon lange verjährt und die Zeiten hätten sich seit ‘45 geändert. Und es habe ja so viele gegeben, die auf der falschen Seite gestanden hätten. Als Kind verstand ich nicht sehr viel davon. Erwachsene drücken sich immer sehr verklausuliert aus.
    Beide, Vater und Mutter, wurden dünner in jenem Winter. Der November war ungewöhnlich mild, und das Wetter im Dezember war nicht sehr weihnachtlich, es regnete, und die Temperaturen stiegen bis auf fünfzehn Grad. Normalerweise war Weihnachten eine geschäftige Zeit, aber jetzt lagen nur eine Gans, vier Enten und sechs

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