Die guten Schwestern
Schweinebraten im großen Backofen. Eine Ente und ein Schweinebraten waren für uns. Weihnachten muß doch gefeiert werden, sagte Mutter. Kaum ein Kunde verirrte sich in den Laden. Beiden Gesellen mußte gekündigt werden. Vater konnte es alles allein mit dem Lehrling bewältigen, der Kurt hieß und so dumm war, daß er sowieso nichts mitbekam. Außerdem hatte Fritz angefangen, in der Bäckerei zu helfen. Und ich ging ihnen auch zur Hand, wenn ich konnte, aber die Schule war natürlich wichtiger. Ich interessierte mich nun mal mehr für Bücher als Fritz, und das akzeptierten meine Eltern ohne Zögern. Tagsüber sprachen Vater und Mutter nicht viel miteinander, aber nachts schlich ich mich oft aus dem Bett und setzte mich auf die oberste Treppenstufe und lauschte ihren ernsten Stimmen unten im Wohnzimmer. Ich verstand nicht, was sie sagten, aber hin und wieder begann Mutter zu weinen, und einmal hörte ich sie schreien, daß es so nicht weitergehe, daß der Berg der Rechnungen immer weiter wachse und daß sie bald kein Mehl, keinen Zucker und keine Butter mehr geliefert bekämen.
Die Landstreicher, die um ein bißchen altes Brot bettelten und vielleicht um ein Schnäpschen und ein Bier und manchmal auch um eine Übernachtung im Mehllager, hatte Vater immer gut aufgenommen. Es war, als hätte er ihren Traum von der Ungebundenheit, ihren Schmerz und ihre Rastlosigkeit verstanden. Sie hatten ihre Zeichen, die sie in die Gartenpforte schnitzten, um anderen Vagabunden zu erzählen, daß dies ein gastfreundliches Haus war. Vater hatte auch immer wechselnde Scherenschleifer für einen Schilling unsere Messer und Scheren schleifen lassen, obwohl wir hinterm Haus einen großen handgetriebenen Schleifstein stehen hatten. Aber jetzt fing er an, hinter der Backstube oder in dem zunehmend leerer werdenden Mehllager herumzustehen und mit den bärtigen Männern in den abgetragenen Sachen, die so furchtbar nach Urin und Tabak rochen, Bier und Schnaps zu trinken. Ich hörte Mutter schimpfen, aber es half nichts. Vater wollte mit schwimmenden Augen hinterm Haus mit ungewaschenen Männern klönen, die Fritz und mir Angst einjagten, Teddy dagegen liebte in seiner üblichen arglosen Einfalt ihren Humor und ihre Bonbons, die sie ihm, dem blondgelockten kleinen Mann, zusteckten.
Auch in der Schule ging es bald los. Ich mußte nicht so sehr darunter leiden, Fritz dafür um so mehr, da er nicht nur sich selbst, sondern auch noch mich und Vater verteidigen mußte, wenn Peter und andere ihn Nazibastard nannten oder behaupteten, Vater habe Freiheitskämpfer totgeschlagen und Millionen von Juden und Russen getötet. Oft kam Fritz mit einer blutigen Nase oder einem blauen Auge nach Hause, aber er weigerte sich immer, Mutter zu verraten, womit sie ihn piesackten, aber das wußte sie ja auch so. Vater sagte nichts oder kam mit dummen Männersprüchen, daß ein junger Bursche sich zur Wehr setzen müsse, das gehöre zum Großwerden dazu. Man hatte den Eindruck, daß es Vater egal war, Hauptsache, er konnte draußen mit den Landstreichern sein Bier trinken.
Die Lehrer versuchten, sich nichts anmerken zu lassen, aber ich fühlte, daß ich ihnen langsam leid tat. Weil es nicht meine Schuld war. Außerdem war ich eine brave Schülerin, die nie Ärger, dafür aber immer ihre Aufgaben machte.
Eines Tages nahmen wir in Geschichte die Besatzungszeit durch, und Lehrer Hansen erzählte in lyrischen Worten vom Pfarrer Kaj Munk, der von den Nazis ermordet worden war. Kaj Munk sei ein guter Christ und Däne gewesen, der mutig gegen die Übermacht gepredigt habe. Er habe seinen Feinden ins Auge geblickt und sein Antlitz nicht verhüllt. Er solle ein Symbol für uns junge Leute sein, so ein gesunder christlicher Sinn und seine nationale Sicht könnten uns durch die Prüfungen des Lebens tragen, aufrecht und ohne uns unterkriegen zu lassen. Er berichtete vom dänischen Widerstand gegen den Feind und davon, wie die Dänen ihre Volkskraft bewiesen hätten, indem sie in den fünf verfluchten Jahren Schulter an Schulter gegen das Joch der Germanen angekämpft hätten. Die Dänen hätten für ihre Freiheit gefochten, und deshalb stellen sie am 4. Mai Kerzen ins Fenster, sagte er. Das sei eine schöne Sitte, die wir an unsere Kinder weitergeben sollten, wenn es einmal soweit sei, damit die Erinnerung an die Gefallenen und die wiedergewonnene Freiheit nie aussterbe, sondern immer Zeugnis ablege von der Kraft des Volkes und den dänischen Werten.
Auch meine Eltern
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