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Die guten Schwestern

Die guten Schwestern

Titel: Die guten Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Davidsen
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wendete.
    Die Zeit von der Äußerung bis zu der Konsequenz, die sie nach sich zog, war eigentlich nicht sehr lang, aber alle empfanden sie als lang. Vater hatte sich von seinem Stuhl erhoben und die Hand ausgestreckt. Sie fiel wieder herab, und er mußte sich auf den Tischrand stützen, als wäre er betrunken oder als wäre ihm einen Augenblick schwindlig geworden. Der Graf stand am Kopfende und hatte eine Hand auf die Stuhllehne gelegt, als hätte er eben den Stuhl vom Tisch ziehen wollen, um sich zu setzen und gutgelaunt mit dem gemütlichen Essen fortzufahren. Er blickte von dem Juden zu Vater und wieder zurück. Und noch einmal blickte er hin und her. Wie die übrigen Herren wartete er offensichtlich auf eine Reaktion von Vater oder eine vertiefende Erklärung des Juden. Sie standen sich gegenüber wie zwei Rüden, aber es war klar, daß der Jude der stärkere von beiden war. Er beherrschte Vater mit seinem Blick. Vater sagte nichts. Vielleicht war dies ein Fehler, aber es hätte kaum etwas geändert. Der Graf war der Gastgeber, es war an ihm, die Situation zu klären. Mit seinen ersten Worten bezog er unmißverständlich Stellung. Er bezweifelte die Anklage des Juden nicht, sondern sagte bloß:
    »Vielleicht schulden Sie uns eine Erklärung, Bäckermeister Pedersen…«
    Vater schaute ihn an. Er hatte noch immer ein weißes Gesicht. Aber in seiner Verzweiflung und seiner Scham war er auch wütend. Am meisten darüber, daß der Graf als Gastgeber es zuließ, daß ein Neuankömmling einen der Gäste anpöbelte. Einen guten Bürger, der seine Rechnungen bezahlte und eine wichtige Stütze der lokalen Gesellschaft war.
    »Ich schulde niemandem etwas«, sagte Vater statt dessen mit einer Stimme, die eher einem Flüstern glich oder vielleicht dem Zischen einer Schlange, die Worte klangen gehässig und trotzig. Der Jude sagte nichts, starrte Vater nur an, als hätte er den Mann vor sich von den Archivbildern her wiedererkannt, vor denen er täglich im Auftrag der Regierung saß, um das Unkraut auszurotten und die Fackel der Freiheit am Brennen zu halten, wie er in der Tageszeitung der Widerstandsbewegung Information geschrieben hatte. Er machte einen Schritt nach rechts. Und eine kleine unmerkliche Drehung mit dem Kopf, die andeutete, daß er sich auf den Weg zurück nach Kopenhagen machen wolle, als der Graf sagte:
    »Vielleicht wäre es am besten, Sie verließen mein Haus, Bäckermeister Pedersen.«
    Vater sah ihn an, als hätte er ihn nicht richtig verstanden. Nicht verstanden, daß er von dem Tisch und der örtlichen Gemeinschaft ausgeschlossen werden sollte, weil plötzlich ein Fremder aus Kopenhagen mit Anklagen aus einer Vergangenheit auftauchte, die man hier am Tische stillschweigend hinter sich zu legen beschlossen hatte, weil doch nun ganz augenscheinlich neue Zeiten im Anmarsch waren.
    Und deshalb sahen wir ihn mit einer Miene aus dem Haus treten, als hätte er das Böse in Person erblickt, und vielleicht hatte er das ja auch.
    Schon mit Beginn des Frühjahrs hatte die Geduld der Gläubiger ein Ende, und an einem Tag im März kam ein Umzugswagen und holte die Möbel und das Hausgerät ab, das uns noch blieb und das man behalten durfte, damit man ein genügsames, wenn auch ziemlich karges Leben führen konnte. Das Auto, die meisten Möbel, die Gemälde, Vaters Jagdgewehre, die Trophäen, die meisten unserer Bücher, die Figuren der Königlichen Porzellanmanufaktur und alles andere, was den Rahmen unseres Lebens gebildet hatte, blieb zurück, um zwangsversteigert zu werden. Ich wollte nicht zurückschauen und das weiße Haus hinter mir verschwinden sehen. Ich blickte geradeaus und erinnere mich seltsamerweise nicht an den Möbelfahrer, sondern nur an die Holzfigur, eine nackte Afrikanerin, die am Rückspiegel baumelte. Es war ein grauer Tag mit Regen in der Luft und starkem Westwind. Fritz saß mit versteinertem Gesicht neben mir auf dem Beifahrersitz des Umzugswagens. Er drehte sich auch nicht um. In dem Lastwagen war gerade Platz für uns zwei Kinder. Vater und Mutter mußten mit Teddy den Bus nach Odense nehmen und von dort den Zug zu unserem neuen Heim in Jütland. Das letzte, was ich hörte, war Teddys Weinen und Vaters tiefe Stimme. Er schimpfte ihn aus und sagte, er sei ein Jammerlappen.
    Fritz und ich wurden von Mutter umarmt, und Vater gab uns die Hand. Vaters Gesicht war weiß, seine Augen waren blutunterlaufen. Vom Haus wollte ich mich nicht verabschieden. Ich wollte auch nicht weinen. Diesen

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