Die guten Schwestern
Triumph sollten die Bösen nicht bekommen. Während Fritz durch die halbleeren Räume ging, saß ich auf der Treppe und schaute zur großen Buche des Pfarrers hinüber. Die Gardinen waren vorgezogen, und das Dorf wirkte wie ausgestorben. Das Seltsamste war vielleicht, daß aus der Bäckerei keine Geräusche und kein Duft zu vernehmen waren. Der süße Geruch nach Zucker und Mehl und der besondere Ton, den die größte Rührmaschine von sich zu geben pflegte, wenn sie den Teig für das Roggenbrot knetete und bei jeder Umdrehung eine kleine Unebenheit in der Aufhängung berührte. Die Gläubiger hatten ein Vorhängeschloß an der Tür der Bäckerei angebracht. Der Gerichtsvollzieher, den sie im Dänischen den »Vogt des Königs« nennen, hatte die Angelegenheit geleitet. Welch passender Name für einen Mann, der all jene Namenlosen repräsentiert, die in einer Scheindemokratie die Interessen des internationalen Kapitals wahren.
Es hatten sich keine Nachbarn eingefunden, um auf Wiedersehen zu sagen. Ich wußte nicht, daß ich den Vater, den ich kannte, hier zum letzten Mal sah und daß ich erst viele Jahre später sein Gespenst wiedersehen würde, als Du uns quer über die Jahrzehnte einander die Hände reichen ließest, bis der Tod ihn endgültig mit sich nahm.
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S eit meinen letzten Zeilen sind einige Tage vergangen. Und sie geben nicht auf und verhören mich weiter über mein Leben und meine Kontakte. Aber sie haben nichts Konkretes. Sie glauben, daß Stasi-Edelweiß und ich dieselbe Person sind. Aber sie wissen es nicht. Unglaublich, daß sie soviel Energie für eine Vergangenheit vergeuden, die mit dem Sowjetsozialismus unterging. Was, bitte, hat das heute denn noch für eine Bedeutung? Das ist doch eine kafkaeske Situation. Sie können nicht beweisen, daß ich schuldig bin, also muß ich meine Unschuld beweisen. Sie sprechen mit allen Menschen, die ich jemals gekannt habe. Vor einer möglichen Strafe habe ich keine Angst. Indem sie mein Leben auf den Kopf stellen und Freunden, Kollegen und der Familie intimste Details aus meinem Leben präsentieren, haben sie mich ohnehin schon genug gestraft. Haben sie mich mit einem Kainsmal versehen, das ich nie wieder abwaschen kann. Hervorragend unterstützt von der bürgerlichen Presse, die jede Auskunft der Polizei für bare Münze hält. Aber ist das so verwunderlich? Wir wissen doch, daß die bürgerliche Presse ebenso käuflich ist wie eine Hamburger Dirne.
Immer wieder kommen sie auf ein bestimmtes Ereignis im Baltikum zu sprechen. Es hat sich 1987 abgespielt, ist also ihrer Auffassung nach frisch genug, um eine Anklage nach sich ziehen zu können. Und womöglich so schwerwiegend, daß eine Verjährung nicht in Frage kommt. Da es den Tod von Menschen zur Folge hatte. Es handelt sich um einige der letzten Hinrichtungen des Sowjetsystems wegen Landesverrats. Die Opfer sollen von einem westlichen Spion denunziert worden sein. Das kommt einem alles so verrückt vor. Als ob das heutzutage noch irgend jemanden hinterm Ofen hervorlocken könnte. Aber so ist es eben. Die Spione der einen Seite sind die Landesverräter der anderen. Und verurteilen tun immer die Sieger. So ist es schon immer gewesen. So war es auch in Vaters Fall.
Ich sage ihnen, daß ich nicht weiß, wovon sie reden. Daß ich nicht weiß, wer Edelweiß ist. Daß sie die Falsche erwischt haben. Daß ich eine Forscherin und Frau bin und niemals Zugang zu geheimen Informationen hatte. Das ist ihr schwacher Punkt. Sie können zwischen meiner angeblichen Agententätigkeit und meiner Arbeit als Forscherin und Entlarverin der spätkapitalistischen Frauenunterdrückung keine Verbindung finden. Immer wieder kommen sie darauf zurück, daß ich Mitte der sechziger Jahre studentische Hilfskraft im Außenministerium war. Herrgott! Das ist so lange her! Damals war ich eine junge Frau, die für Männer, die sich für bedeutend hielten, frei zugängliche Informationen kopierte. Aber das reicht nicht. Nicht einmal ein Richter des Kapitals wird akzeptieren, daß ich für etwas ins Gefängnis wandere, das so viele Jahre zurückliegt. Dann behaupten sie, ich hätte damals vielleicht andere Leute rekrutiert. Da kann ich nur laut lachen. Das können sie aber ebenfalls nicht beweisen. Aber sie wollen sich von dieser Zeit nicht wegbewegen, weil es die einzige Zeitspanne in meinem Leben war, in der ich Zugang zu Informationen hatte, die nicht öffentlich waren. Langsam verzweifeln sie, weil meine Untersuchungshaft bald
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