Die guten Schwestern
der Leute treffen konnte, die ihre Arbeit nicht seriös oder professionell verrichteten oder ihr schlicht auf die Zehen traten oder aber Aussagen von sich gaben, die ihrer Auffassung von Recht und Billigkeit widersprachen.
Toftlund kam Charlotte zur Hilfe.
»Ich glaube, weder Charlotte noch ich waren uns darüber im klaren, wie gefühlsbeladen und kontrovers dieses Thema weiterhin ist. Es bringt alte Frontsoldaten und alte Widerstandskämpfer immer noch in Wallung, ebenso wie ihre Nachkommen und die Historiker, die sich darüber absolut nicht einig werden können. Im übrigen ist es interessant, daß die drei Forscher von Irmas Beziehung zur SS-Veteranenbewegung nichts wußten. Ebensowenig wie vom Hintergrund ihres Vaters. Den hat sie verheimlicht, obwohl sie in vielerlei Hinsicht ihr Mentor war. Ihre Betreuerin, heißt das wohl an der Universität. Sie hat sie bei ihrem Forschungsprojekt in die Richtung gelenkt, die ihrer eigenen Geschichtsauffassung am nächsten kam.«
Vuldom steckte sich eine Zigarette an. Toftlund sah, daß sie immer noch erregt war. Über etwas, das in seinen Augen unwichtig war, es sei denn, es könnte dazu beitragen, Irma wegen Landesverrats zu verurteilen. Daß sie dessen schuldig war, stand für ihn außer Frage.
»Interessant«, sagte Vuldom. »Unsere kleine Irma ist die geborene Menschenmanipulatorin. Das hat ihr ein großer Lehrmeister beigebracht, der guten Irma Edelweiß.« Der Satz hing in der Luft und bettelte geradezu um eine Fortsetzung. Aber sie kam nicht. Toftlund wartete, aber als sie nichts mehr sagte, fuhr er fort:
»Wie gesagt 1940 geboren. Hing sehr am Vater. Schwierige Jugend in Silkeborg, wohin sie nach dem Skandal gezogen waren. Niemand kann sich an den jungen Mann E. erinnern. Und die Mutter ist zu verkalkt. Irma und E. waren nie verheiratet. Es gibt keine Akten über sie. Irma heiratete 1989 einen Kollegen, der vor drei Jahren an Krebs gestorben ist. Sie hatten keine Kinder. Sie studierte Literaturwissenschaft und Geschichte an der Uni Kopenhagen und wurde später Professorin am Universitätszentrum Roskilde. Ihre Arbeit handelt davon, inwieweit die Darstellung von Frauenfiguren in der klassischen dänischen Literatur unrichtig ist, weil sie auf dem verfälschenden Frauenbild der kapitalistischen, patriarchalen Gesellschaft beruht. Sie hat sozusagen den ganzen Teil der dänischen Literatur, der von Männern geschrieben ist, auf den Misthaufen der Geschichte geworfen.«
Es klang, als zitierte Toftlund einen der Menschen, mit denen er gesprochen hatte. Das fand selbst Vuldom spannend.
»Das ist ein langer Titel«, sagte sie neckend, als wüßte sie, daß er heute nicht ganz ausgeschlafen war. »Hast du’s gelesen?«
»Nein. Ist auch egal. Das gehört zu ihrem bekannten Leben. Irma hat noch ein anderes geführt. Wir haben eine umfangreiche Akte über sie. Sie war politisch ungemein aktiv. Die Frauenbewegung war die offizielle Seite, aber sie war noch in mehreren revolutionären Gruppen im Dunstkreis der Linkssozialisten und der Kommunistischen Arbeiterpartei tätig. Hat über die Notwendigkeit von Gewalt geschrieben und Baader-Meinhof unterstützt. In ihrer frühen Jugend war sie Nazi und ist dann offenbar mühelos zum revolutionären Marxismus übergewechselt. Ein Leben auf der totalitären Rutschbahn. Vielleicht ist der Unterschied auch nicht so groß. Auf jeden Fall vereint sie der Haß auf die bürgerliche Gesellschaft. Wie ihr Bruder Fritz hat sie den Kontakt zur alten Bekanntschaft des Vaters bewahrt.«
»Der Krieg schafft seltsame Bettgenossen«, sagte Vuldom.
»Was ist los?«
»War, glaub ich, Churchill, der das gesagt hat.«
Bjergager räusperte sich. Sie schauten ihn erstaunt an. Auf derlei Sitzungen sagte er normalerweise sehr wenig. Er notierte alles und vergaß nichts, aber er nahm sich Zeit und wartete lieber mit seinen Kommentaren, bis er die Möglichkeit erhielt, das Gesagte und die vorgelegten Indizien für sich allein zu analysieren.
»Ja, Bjergager?« sagte Vuldom.
Er beugte sich leicht nach vorne.
»Churchill hat etwas in der Art gesagt«, teilte er mit seiner trockenen, tiefen Stimme mit. »Und zwar, weil er ein belesener Mann war. Das Zitat stammt aus Shakespeares Drama Der Sturm: ›Die Not macht einen mit seltsamen Schlafgenossen bekannt‹ oder so ähnlich. Churchill hat das Zitat verändert. Um seine unheilige Allianz mit Stalin gegen Hitler zu erklären.«
»Danke für die Vorlesung, Bjergager«, sagte Vuldom und nickte Toftlund
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