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Die guten Schwestern

Die guten Schwestern

Titel: Die guten Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Davidsen
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diesem Sumpf der Armut umschaute und wußte, daß eine halbe Million Vertriebene über das morastige, zusammengebrochene Land verteilt waren, dann erschien ihm sein Auftrag lächerlich und gleichgültig. Dann war es jedenfalls schwer, ihn ernst zu nehmen. Daß auch Dänen in ihrem Überfluß vor zwanzig, dreißig Jahren mit der Revolution und dem Kommunismus gespielt hatten, wirkte auf einmal wie eine Bagatelle. Irgendwo müßte er Irmas Mitschuld erkennen können, aber er hatte Schwierigkeiten, Ursache und Wirkung zu beurteilen. War es die Unterdrückung der Serben, die die Flüchtlingshölle ausgelöst hatte? Oder war es der NATO-Krieg, der die Menschenwelle in Gang gesetzt hatte? Und was waren Irma und ihr mystischer Hintermann oder Führungsoffizier anderes als klitzekleine Steinchen, die die Lage nicht im geringsten beeinflußt hatten? Aber so hatten sie natürlich nicht gewettet. Er mußte die Frau finden. Dann ginge der Fall zwar weiter, aber dann wäre die Staatsanwaltschaft an der Reihe. Würde es ihm nicht gelingen, könnte er nach Hause zu Lise zurückkehren, bei der Geburt ihres Kindes dabeisein und ein neues Leben anfangen, denn dann würde das Landgericht den Fall abschließen und Irma freilassen. Und notgedrungen mußte er sich selbst gegenüber zugeben, daß das eine große Erleichterung für ihn bedeuten würde, weil er einfach nicht mehr wußte, was richtig und angemessen war. Nur das Gewicht der Pistole im Schulterholster gab ihm eine Form von Sicherheit, und obwohl er Torstens raschen und verurteilenden Blick bemerkt hatte, als er sich ins Auto setzte und die Beule in seiner Jacke überprüfte, beruhigte ihn die Beretta und schenkte ihm die Sicherheit, die er auch für seine Selbstsicherheit benötigte.
    So gut es ging, lehnte er sich in dem bequemen Sitz zurück und betrachtete, mit Torstens konstantem Meldestrom als einer Art Hintergrundmusik in den Ohren, die verheerte albanische Landschaft. Felshänge erhoben sich in Grün und Grau vor dem schweren Frühlingshimmel. Die Häuser waren durchgehend klein und heruntergekommen, aber dann tauchte überraschend hinter einer Hecke oder einem Zaun ein großes Haus auf mit neuem roten Ziegeldach, Videoüberwachung und selbstverständlich mit einer Parabolantenne. Erstaunlicherweise waren sogar bei vielen der kleinen, häßlichen Hütten neue Satellitenschüsseln an der Hauswand befestigt. Auf manchen Berggipfeln entdeckte er Ruinen, wahrscheinlich ehemalige Ritterburgen. Sie fuhren an einer alten Fabrik vorbei, die sich ausgebrannt und von Unkraut überwuchert scheinbar endlos an einer Flußbiegung entlangzog. Als wenn eines Tages einfach alle gegangen wären und nie wieder zurückzukommen gedachten. Überall lagen verrostete Autowracks. Toftlund verstand nicht, wie sie nach Albanien gekommen und dann als Wracks haufenweise in all den Gräben oder auf den kleinen Feldern gelandet waren. Poulsen sagte, die meisten Mercedeskarossen, die sie hier sahen, seien gestohlen worden und auf mystischen Wegen hierhergekommen. Der Pflanzenbewuchs war niedrig, sowohl auf der Ebene auf beiden Seiten der Straße als auch auf den braungrünen Höhenzügen, die sich am Horizont erhoben. Toftlund sah etliche Moscheen und überraschenderweise nagelneue, golden gestrichene Kirchen, die neben ihren verdreckten Nachbargebäuden seltsam rein und jungfräulich aussahen. Sie fuhren einige Kilometer an rostigen Eisenbahngleisen entlang und konnten über ein Tal schauen, wo aus kleinen Holzhäuschen fast senkrechter Rauch in die Höhe stieg. Da wurde irgendein Markt abgehalten. Eine Menge Stände, eine Menge grauer Menschen und eine Menge Tiere. Poulsen fuhr noch langsamer, blinkte, fuhr an den Straßenrand und machte den Motor aus.
    »Pinkelpause«, sagte er und streckte seine Arme über den Kopf und hinter den Rücken, um Schultern und Arme zu lockern.
    Teddy stieg aus, stützte seine Hände in die Hüfte und bog den Rücken durch. Er ging zu Toftlund, der die Straße verließ, und Teddy folgte ihm. An einem niedrigen Hang lag eine ehemalige Raffinerie oder etwas Ähnliches, die einfach verlassen und liegengelassen worden war. Verbogene, verrostete Eisenträger umkränzten einen alten Schmelzofen, Wasserlöcher waren mit Ölresten bedeckt, und zwischen Mauerbrocken vereinte sich das erste Unkraut des Jahres mit anderen Pflanzen, die überwintert hatten. Es roch nach Öl, Benzin, Teer und Pisse.
    »Robert Jacobsen hätte das hier geliebt«, sagte Teddy.
    »Wer?«
    »Ist

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