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Die guten Schwestern

Die guten Schwestern

Titel: Die guten Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Davidsen
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lächeln und zu winken und das V-Zeichen zu machen, wenn sie an dem haltenden Konvoi der weißen Autos vorbeizogen. Das sah nicht gerade aus, wie man sich Europa um die Jahrtausendwende vorstellte, das schienen eher Szenen aus einer unbekannten Dritten Welt zu sein, von der Toftlund sich nicht hatte vorstellen können, daß sie so kurz vor den Grenzen der Europäischen Union existierte.
    Teddy stellte sich neben ihn und betrachtete die Szenerie. »Wenn man das hier sieht, verliert die heimische Diskussion über Raucherpolitik, Renten und Vorruhestand irgendwie ihre Bedeutung, nicht wahr, Toftlund?«
    »Man könnte glauben, Albanien sei im Krieg.«
    »Die waren mit sich selbst im Krieg seit 1944.«
    »Jedenfalls hat die Armut in Albanien nichts Pittoreskes.«
    »Das hat sie nie. Nicht mit den Augen derer gesehen, die diejenigen sehen, die sie sehen.«
    »Der kleine Philosoph. Du kannst es nicht lassen.«
    »So könnte das Bild hier heißen: Philosoph Teddy, verzweifelt im albanischen Elend.«
    »Du und deine Bilder! Was soll das eigentlich?«
    »Das ist ein kleines Spiel. Wenn man sich hin und wieder von außen betrachtet, nimmt man sich selbst nicht so übertrieben ernst.«
    »Ich verstehe dich oft nicht.«
    »Jeder hat sein Päckchen zu tragen.«
    Toftlund sah ihn gereizt an und wollte schon etwas knurren, schüttelte aber statt dessen nur den Kopf und ging zu Poulsen hinüber. Teddy rief ihm nach:
    »Toftlund, können wir nicht ein bißchen die Plätze tauschen? Mein Rücken bringt mich noch um.«
    »Er will nicht, daß du rauchst.«
    »Lieber Rücken als Rauchen. Teddys neues Motto.«
    Den Rest des Weges saß Toftlund auf dem großen Sitz im Führerhaus von Johnnys Volvo. Jetzt hörte er Poulsens Stimme durch den Lautsprecher, die gleichen konstanten, monotonen und präzisen Fahranweisungen. Ihm leuchtete ein, was Teddy während der Rast zu den Fahrern gesagt hatte, nämlich daß diese Anweisungen an die modernen Gedichte ohne Reim erinnerten, für die sich Lise so begeisterte. Teddy hatte das »Brechprosa« genannt, was aber weder Toftlund noch die Fahrer verstanden hatten. Poulsen hatte gelacht und sich für das Kompliment bedankt. Johnny erzählte von seinen vielen Aufgaben für die Dänische Flüchtlingshilfe, die UNO und das Rote Kreuz in den letzten Jahren und davon, daß er die Familie zu Hause in Vendsyssel vermisse, aber eben auch nicht auf die Spannung und die Herausforderungen seiner Arbeit verzichten könne. Es sei keinesfalls das Geld allein, obwohl die Bezahlung in Ordnung sei, nein, es sei ihm schlicht in Fleisch und Blut übergegangen. Toftlund verstand ihn ganz gut. Ihm würde es genauso gehen. Er wußte, daß es vielleicht egoistisch, aber nicht zynisch gemeint war, als Johnny sagte, daß er sich immer freue, wenn frühmorgens das Telefon klingelte und er wieder einmal zum Einsatz gerufen wurde.
    Sie verließen die verarmten Kleinstädte und gelangten auf eine Flußebene mit grünen Wiesen. Der Anblick überraschte Toftlund. Denn hier präsentierte sich ihnen eine schöne Landschaft mit einem breiten, majestätischen Tal, das von steilen, braunschwarzen Bergen gesäumt war, die den Schnee auf ihren Gipfeln wie Kochmützen trugen. Das Tal sah fruchtbar aus, aber der Boden wurde kaum bestellt. Nur ein paar Kleingärten schienen genutzt zu werden. Und dann etwas, das ein Reisfeld sein konnte. Sonst gab es nur Gras und Wasser und Leere mit Ausnahme eines Hirten und seiner Schafherde und einiger Kühe in der Ferne. Der Fluß floß behäbig und dick wie ein braunes Band durch die graugrüne Landschaft, als der Konvoi nach einer weiteren Stunde abbog und in Shkodërs Vororte hineinfuhr und stoppte, weil ein blauuniformierter Polizist seine Kelle mit dem grünen Kreis hochhielt.
    Toftlund kletterte herunter, streckte sich und sah Poulsen zu, der sich gegenüber den vier Beamten verständlich zu machen versuchte. Vielleicht wollten sie Geld? Vielleicht fragte er nur nach dem Weg? Sie hielten an einer funkelnagelneuen Agia-Tankstelle in italienischen Farben. Gegenüber lag eine ebenfalls neue Kirche, deren Kreuz in der Sonne glänzte, die allmählich durch die Wolkendecke lugte. Zwei der allgegenwärtigen räudigen Hunde schlichen mit eingezogenem Schwanz vorbei. Poulsen schüttelte den Kopf, erklärte anscheinend etwas und zeigte einige Papiere vor, aber die Beamten schüttelten ebenfalls heftig den Kopf. Vor ihnen, das mußte die Hauptgeschäftsstraße von Shkodër sein. In den Cafés saßen verblüffend

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