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Die guten Schwestern

Die guten Schwestern

Titel: Die guten Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Davidsen
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fünf Stunden erreichen zu können, einige Stunden lang abzuladen und kurz nach Einbruch der Dunkelheit wieder in Durrës zu sein. Deshalb übernahm er selbst die Fahrt und ließ seinen albanischen Helfer die Telefone betreuen. Das war vielleicht gegen die Regeln, aber für Poulsen kamen die Flüchtlinge immer an erster Stelle.
    Der Konvoi rollte aus Durrës heraus und schlängelte sich zwischen den ersten klappernden Bussen, großen verschmierten Mercedeskarossen, Pferdekarren, verrosteten chinesischen Fahrrädern und alten Frauen hindurch, die eine Kuh, ein Schaf oder ein Schwein auf dem Randstreifen entlangführten, damit das Vieh etwas zum Grasen fand.
    Toftlund fuhr mit Poulsen in dessen Toyota mit, während Teddy zu einem seiner Knobelkumpels in einen der großen Volvos geklettert war, wo er, wie der Fahrer sich ausgedrückt hatte, liebend gerne rauchen durfte. Wie eine lange Schlange wand sich der Konvoi in Richtung Tirana und durchquerte dabei die braungrüne Landschaft mit den kleinen Bunkern und seltsam ausgebrannten und verwitterten Gebäuden, die verlassenen, ausgebombten Fabriken glichen. Als hätte eine Invasionsarmee das Land überrollt und geplündert und nur Elend zurückgelassen. Die Straße war in einem jämmerlichen Zustand, und weder Mensch noch Tier schien den Unterschied zwischen rechts und links zu kennen. Im Schneckentempo manövrierte der lange weiße Konvoi durch das Chaos. Toftlund hörte, wie die dicken Laster hinter ihm mühsam hoch- und runterschalteten, und als er sich umdrehte, sah er, wie der erste Lastwagen schaukelte und sich wie ein überdimensionaler Slalomläufer zwischen den größten Wasserkratern hindurchschlängelte. Nach ein paar Kilometern waren die Seiten der weißen Fahrzeuge grau wie die tiefliegenden Wolken.
    »Das ist Johnny hinter mir«, sagte Poulsen. »Ich habe mit ihm schon im Irak und in Bosnien zusammengearbeitet. Er ist der beste. Er findet irgendwie immer den Weg, und die andern vertrauen ihm und beobachten ihn und lenken dann wie er. Es kommt die ganze Zeit darauf an, daß der Konvoi nicht ins Stocken gerät.«
    Aber darüber hinaus konnte sich Toftlund nicht viel mit Poulsen unterhalten. Er klammerte sich am Halteriemen fest und ließ sich von der krabbelnden, kriechenden Bewegung des Toyotas auf der schmalen, gewundenen Straße wiegen. Nachdem sie bei Tirana nach Norden abgebogen waren, setzten sie ihren Weg durch verfallene Dörfer fort. Es wimmelte von Menschen, Kühen, Pferden, Schweinen, Schafen und Kindern und Jugendlichen, die winkten und jubelten und das V-Zeichen machten, wenn sie die weiße Schlange erblickten. Und so wurde Toftlund rasch bewußt, daß Poulsen als Konvoiführer Auge, Ohr und Kompaß der Schlange war. Vorne auf dem Toyota schaukelte die lange, schwere Antenne, die sie mit den Funkgeräten der Laster hinter ihnen verband, und Poulsens ruhige Stimme teilte ihnen ständig mit, welche Hindernisse sie nach der nächsten Kurve und dem nächsten Haus erwarteten.
    »Mann mit Ziege rechterhand, Personen links, Achtung, ein Kind, freilaufende Kuh in Rechtskurve, vier Fahrzeuge im Gegenverkehr, das letzte ein roter Mercedes, Johnny, du hast jetzt freie Fahrt, Schafsherde linkerhand, Pferdewagen rechts, sehr unebene Straße, Geschwindigkeit herabsetzen, Schritt fahren, anhalten, weiterfahren, Polizeikontrolle in Sicht, Kinder auf beiden Seiten, freilaufende Kuh auf dem Seitenstreifen, wieder sehr unebene Straße, sind die Briten mit über die Kreuzung gekommen?«
    Es war monoton und trotzdem anregend, fand Toftlund, ein konstantes Absuchen von Schwierigkeiten, das, wie Toftlund wußte, größte geistige Aufmerksamkeit erforderte, und er dachte, die wirklichen Helden in diesem Krieg waren wie in anderen Kriegen auch die Zivilisten in den Lastwagen, welche die einzige Verbindung zu den anderen, leidenden Zivilisten waren. Er konnte sich schnell in Poulsen einfühlen, empfand dieselbe Erleichterung, wenn Johnnys kratzende Stimme oder die eines der anderen Fahrer im Lautsprecher ertönte, um mitzuteilen, daß sie nun alle eine Kreuzung überquert und sicher eine Kurve genommen hätten und daß der LKW mit dem Hänger auch dabei sei. Die Zeit verging so langsam wie die Fahrt, aber Toftlund war zuversichtlich und seltsam optimistisch. Die Reise hatte bald ein Ende. Wenn sie die Frau in Shkodër nicht fänden, könnten sie nichts mehr machen. Er versuchte einen Gedanken abzuschütteln, der sich ihm schon die ganze Zeit aufdrängte. Wenn er sich in

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