Die guten Schwestern
viele Menschen. Sie tranken Kaffee oder Bier. Viele waren gut gekleidet, und Toftlund bewunderte wieder die schönen jungen Mädchen, die selbstbewußt umherstolzierten und den jungen Männern und den seltsamen, bärtigen Fahrern der weißen Fahrzeuge mit den fremden Nummernschildern lange Blicke hinterherwarfen. Nach Jahrzehnten der Isolation wimmelte ihr Land nun von Ausländern und gefährlichen, aber auch verführerischen Ideen und Einflüssen.
Zwei dreckverschmierte Mercedeskarossen fuhren heran, und sechs Männer stiegen aus. Zwei hatten Kunstlederjacken und abgetragene blaue oder schwarze Jeans an, die andern vier trugen schlecht sitzende Anzüge. Fünf hatten gegeltes, nach hinten gekämmtes schwarzes Haar, ihr Alter war schwer zu bestimmen. Der sechste war etwas älter, er hatte graues Haar und einen mächtigen Schnurrbart. Als sie ausstiegen, sah Toftlund, daß sie alle mit einer Pistole in einem Gürtelholster bewaffnet waren. Sie sahen aus wie Zivilbullen oder Gangster und waren vielleicht beides, dachte Toftlund. Ihre Kleidung war gebügelt, an den Schuhen klebte Matsch. Die Albaner gingen zu Poulsen. Toftlund hörte nicht, was sie sagten, aber es klang albanisch. Auch wenn Torsten es mit Englisch versuchte. Toftlund trat einen Schritt vor und lehnte sich an Poulsens Toyota. Er sah, wie die beiden Lederjacken ihn beäugten, und es freute ihn, daß ihre Hände an den Gürtel glitten. Sie durften gern der Auffassung sein, daß hier ein Mann stand, der eventuell ein Risiko bedeutete. Daß sie hier nicht freie Hand hatten.
Poulsen kam zu ihm.
»Spricht Teddy Albanisch?« fragte er.
»Das tut Teddy nicht«, sagte Teddy und stieg aus dem Toyota. »Was wünschen die albanischen Gentlemen mit der höflichen Attitüde?«
»Ich weiß es nicht. Wahrscheinlich Geld. Sie sagen, sie seien vom Sicherheitsdienst. Soweit ich es verstehe. Sie können genausogut von der Mafia sein. Herrgott, wo ist bloß der Vertreter der UNHCR? Ich hab ihn vor einer Stunde angerufen.«
Ein weißer Landrover mit italienischer Zulassung kam mit hoher Geschwindigkeit angerast und bremste, daß der Dreck spritzte, ehe er an der Tankstelle zum Stehen kam. Der Fahrer war ein großer, magerer Mann mit einem scharf geschnittenen Gesicht und zurückgekämmtem und dünner werdendem schwarzen Haar, das seine gerade Stirn betonte. Seine graue Hose war gut gebügelt, und sein Schlips paßte zu dem hellen Hemd unter der teuren braunen Lederjacke. Seine Stiefel waren neu und mit verkrusteter Erde bedeckt. Er ignorierte die sechs Männer und trat sofort auf Poulsen zu und gab ihm die Hand.
»Schon in Ordnung, Torsten«, sagte er. »I will deal with this.«
Er ging zu den Männern und sagte etwas zu ihnen. Sie protestierten nicht, blickten aber böse herüber, bevor sich vier in einen Mercedes setzten und wegfuhren. Die beiden anderen gingen zu dem zweiten Benz, fuhren aber nicht los.
Poulsen sagte tonlos:
»Er heißt Andre. Er ist Literaturprofessor an der Uni Pristina im Kosovo. Jetzt natürlich Flüchtling. Koordinator für die UNHCR hier oben. Seine ganze Familie, Vater, Mutter, Frau, die Lehrerin war, zwei minderjährige Kinder: verschwunden. Er bewundert die Gastfreundschaft der Albaner, ist aber auch etwas unangenehm berührt von ihrem kulturellen Niveau. Der Kosovo ist da doch etwas weiter entwickelt als seine albanischen Nachbarn. Er ist praktisch eine Kulturnation. War es jedenfalls, bis die Serben mit der ethnischen Säuberung und der Ausmerzung des nationalen Gedächtnisses anfingen.«
Andre kam zurück. Er hatte keine Zeit für Höflichkeitsfloskeln und beachtete Teddy und Toftlund nicht, vielleicht glaubte er auch, sie seien Journalisten.
»Sie wollten zuviel Geld, aber sie zeigen euch jetzt den Weg zum Zeltlager. Was hast du dabei?«
»Decken, Zelte, Toilettenpapier, Binden, Konserven, Wasserreinigungstabletten, Plastikplanen zum Abdecken.«
»Wie viele Autos?«
»Sechs. Einer mit Hänger. Da drin sind die Zelte.«
»Ich hatte um mindestens das Doppelte gebeten.«
»Da mußt du mit Tirana sprechen, Andre.«
»Okay, let’s go. Die Zelte und der LKW mit den Planen folgen dem Mercedes, und ihr folgt mir zur Fabrik.«
Es war über zehn Jahre her, daß in der alten Tabakfabrik die letzte Zigarette gerollt worden war. Sie lag am Rande der Stadt im Schlamm und wirkte wie ein Sinnbild der ganzen Lage, eingezäunt, trostlos und übervölkert von Menschen, deren Augen aussahen, als hätten sie ins Herz des Bösen geschaut und als
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