Die guten Schwestern
Regentropfen auf die Erde klatschen. In der Ferne bellten die verrückten Hunde, aber plötzlich hörten sie auch ganz in der Nähe ein Knurren, und ein Paar gelbe Augen leuchteten im Dunkel auf und verschwanden wieder, als Toftlund auf den aufgeplatzten Zement stampfte.
»Scheißstadt«, sagte Toftlund und schüttelte sich vor Schreck.
»Interessanter Mann«, sagte Teddy ungerührt. Er war auf einmal die Ruhe selbst, als wäre seine Angst nach dem Gespräch verschwunden. Als wäre er zu der Ansicht gelangt, daß er sich in einer surrealen Welt bewegte, in der jede neue Information eine frühere zu eliminieren oder ihr zu widersprechen schien, und wenn man ohnehin nur ein unfreiwilliger Teilnehmer in einer absurden, modernen Tragödie war, konnte man sein Schicksal ebensogut annehmen, anstatt sich deswegen in Depressionen zu stürzen. Ob er etwas durchschaute, was Toftlund nicht sah? Ob er schlicht erleichtert war, daß das Treffen glimpflich abgelaufen war? Oder freute er sich einfach bloß, weil er seit Tagen mal wieder einen Rotwein von hoher Qualität getrunken hatte?
»Selbstverständlich war er interessant, aber meinst du etwas Bestimmtes damit?« fragte Toftlund gereizt.
»Die Inszenierung, die Wortwahl, selbst sein Name. Nichts war zufällig.«
»Was meinst du mit seinem Namen?«
»Don Alberto, nicht Signor Alberto. Die Italiener benutzen das Wort Don nicht, sie sagen einfach Signor. Aber die Sizilianer benutzen das Wort Don. Begreifst du das nicht? Er erzählt dir damit, wer seine Freunde sind. Toftlund, sprich du ruhig mit meiner Schwester, aber wenn ich du wäre, würde ich ihr kein Haar krümmen.«
Teddy fing an zu glucksen, als wollte er ein Lachen unterdrücken, aber Toftlund verstand absolut nicht, was es da zu lachen gab.
»Das findest du lustig, was?« sagte er verärgert, während bei ihm die vertraute Erschöpfung nach einem Adrenalinrausch einsetzte.
Teddy lachte und steckte sich eine Zigarette an, bevor er sagte:
»Außerordentlich. Weil die ganze Chose einfach ein postkommunistischer Zirkus ist, wo es keine Helden oder Schurken gibt, sondern nur Schwindler und Betrüger. Was zeigt, daß das ganze Gequatsche von der neuen Weltordnung ein einziges großes Blendwerk war. Wenn das nicht lustig ist! Und weißt du was, Toftlund?«
»Nein, Teddy, aber ich bin mir sicher, daß du es mir gleich sagen wirst.«
»Toftlund, alter Junge. Es gibt ein Bild zu der ganzen Situation, du. Der Titel könnte lauten: Teddy in der Patsche in Albanien, aber Scheiß drauf!«
»Ich begreife manchmal nicht so ganz, was du meinst.«
»Und außerdem – weißt du was?«
»Nein.«
»Außerdem liebe ich Albanien einfach«, sagte Teddy und legte einen Schritt zu, wobei er den Kopf schüttelte und kicherte, so daß Toftlund schon fürchtete, bei ihm sei eine Schraube locker.
26
D er Konvoi verließ Durrës im ersten Morgengrauen. Nachts hatte es geregnet und gewittert, die Pfützen hatten sich in kleine Seen verwandelt und lagen braun und lehmig im sanften frühen Licht. Es war ein grauer Morgen mit tiefen, schweren Wolken und einem milden Wind vom Meer. Der Konvoi bestand aus einem Geländewagen, fünf Lastwagen sowie einem Lastzug, der ebenfalls in UN-Weiß lackiert war. Drei LKWs trugen neben dem UNHCR-Logo auch den Dannebrog, die andern drei kamen aus Großbritannien und hatten britische Fahrer. Toftlund und Teddy hatten Glück gehabt. In Albanien eine Mitfahrgelegenheit zu finden war fast genauso schwer wie Frieden zu schaffen, aber zufällig mußte Torsten Poulsen einen Konvoi mit Decken, Zelten und Monatsbinden nach Shkodër schicken, wenn sie also in Kauf nähmen, unter denselben Bedingungen wie die Fahrer zu reisen und vielleicht auf der Ladefläche zu übernachten, dann könnten sie gerne mitfahren. Poulsen sollte, was sehr ungewöhnlich für seine Position war, selbst der Konvoiführer sein. Er konnte schlichtweg keinen anderen mehr beschaffen, da die UNO-Bürokraten in Tirana ihm urplötzlich mitgeteilt hatten, die LKWs zu beladen und nach Shkodër zu fahren, das etwas über hundert Kilometer nördlich lag, an Tirana vorbei über die Höhenzüge. Von einem Besuch der Stadt wurde den Touristen in den diversen Reiseführern seit Jahren abgeraten, falls überhaupt je ein Mensch Lust haben sollte, sich dieses Banditenparadies anzutun. Jetzt aber beherbergte Shkodër wie andere arme, verfallene Städte Tausende von Flüchtlinge. Bei den Straßenverhältnissen hoffte Poulsen, Shkodër in vier bis
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