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Die guten Schwestern

Die guten Schwestern

Titel: Die guten Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Davidsen
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egal.«
    Toftlund und Teddy trugen ihren Teil zu dem Gestank bei. Sie standen friedlich nebeneinander.
    »Verflucht, mein Rücken«, sagte Teddy und fügte hinzu: »Aach, tut das gut.«
    »Was ist das hier?« fragte Toftlund.
    »Wahrscheinlich ein chinesisches Entwicklungsprojekt. Nach 1978, als die Chinesen mit Maos Kulturrevolution aufräumten, legte sich Hodscha mit Peking an. Fast von einem Tag auf den anderen verließen die Chinesen das Land. Alles steht noch so da, wie sie es verlassen haben, oder schlimmer. Große Fabrikanlagen, Eisenbahngleise, die nirgendwohin führen. Albanien wollte ja den reinen Kommunismus. Bis 1990 waren alle Straßen, alle Fabriken, alle Brücken, alle Schulen, egal was, dem Andenken des alten Josef Stalin gewidmet.«
    »Stalin! Nicht mal die Russen haben an Stalin festgehalten!«
    »Väterchen Stalin. Hodscha kam 1944 im Krieg an die Macht, und bis zu seinem Tod 1985 huldigte er Stalin. Die unverfälschte Ware. Es waren die anderen sowjetischen Führer, die die reine Lehre verrieten. Die armen Albaner hatten ihre Kulturrevolution Mitte der sechziger Jahre. Genauso schwachsinnig wie die chinesische. Lehrer, Professoren, Intellektuelle. Ab aufs Land mit ihnen. Verbot jeder westlichen Literatur oder Presse. Die Religion abgeschafft, verboten, kaputt. Kirchen und Moscheen wurden zu Kinos oder in die Luft gesprengt. Keine Gottesdienste. Gott wurde für tot erklärt. Hingerichtet, sollte man vielleicht besser sagen. Von 1967 bis 1990 war Albanien Europas einziges offiziell atheistisches Land. Warum glaubst du wohl, liebten die barfüßigen dänischen Linken diesen Flecken? Weil hier alles rein, sauber, unverfälscht war. So konnten sie ihre protestantische Schuld sühnen. Als hier Anfang der Neunziger der ganze marktwirtschaftliche Apparat einrückte, war die Bevölkerung total unvorbereitet. Es war, als wenn man eine Jungfrau mit einem Pornostar im selben Bett schlafen läßt.«
    Toftlund lachte.
    »Ist das dein Unterrichtsstil?«
    Teddy zog seinen Reißverschluß hoch.
    »O nein, ich bin ein sehr seriöser Lehrer.«
    »Auf jeden Fall weißt du viel, aber ich habe doch auch mehrere Kirchen gesehen«, sagte Toftlund und machte seine Hose zu.
    »Selbstverständlich. Das Land ist überwiegend muslimisch, aber wie Don Alberto uns gezeigt hat, nehmen es viele mit den Worten des Korans bezüglich des Alkohols und anderer Dinge nicht so genau. Italien ist nicht weit, und die katholische Kirche ist sehr aktiv und baut überall Kirchen und Schulen. Das gleiche tun die Türken und die Saudis natürlich auch, das sind dann halt Moscheen. Dazu kommen irre amerikanische Prediger mit der Bibel in der einen Hand und einer Notration in der andern. In diesem Chaos gibt es einen Haufen Seelen, um die man sich zankt und die man gerne für sich gewinnen möchte, mein Freund. Und das tun sie. – Sag mal, kannst du mir hier wieder runterhelfen? Dieses Bild könnte heißen: Teddy mit Rückenschmerzen, unfähig, von albanischem Hügel mit alter chinesischer Fabrik herunterzusteigen.«
    Toftlund mußte wieder lachen, nahm Teddys Hand und stützte ihn, so daß er halb gehend, halb rutschend den Abhang zur Fahrbahn hinunterkam, wo die weiße Fahrzeugschlange hielt. Die Fahrer tranken Kaffee aus ihren Thermoskannen, und Teddy und Toftlund nahmen dankend einen dampfenden Plastikbecher in Empfang. Ein sanfter Strom der schweren, alten chinesischen Fahrräder kam ihnen entgegen. Auf dem Gepäckträger waren kleine Kisten befestigt, in denen sie Hühner gackern hörten. Viele Leute waren auch zu Fuß unterwegs, arme Bauern mit kräftigen, zerfurchten Gesichtern. Auf dem Weg zum Markt zogen sie ein Schwein oder eine Ziege hinter sich her. Die Wohlhabenden hatten einen kleinen Wagen, der von einem Pferd mit schaumigem Maul und schlammverschmierten Beinen gezogen wurde. Auf dem Wagen befanden sich neben dem Kutscher oft eine Frau, ein paar Kinder und ein Schwein oder ein paar Schafe. Oder man sah einen Wagen mit einer Kuh davor oder eine alte Frau, die einen Korb mit fleckigen Äpfeln trug. Ein Wägelchen mit abgefahrenen Gummireifen beförderte einen stehenden Kutscher, zwei jüngere Frauen auf dem Bock, ein Kalb und zwei Ziegen mit gewundenen Hörnern hinten drauf. Andere wanderten auf den Gleisen, die anscheinend seit Jahren keinen Zug mehr gesehen hatten. So ersparten sie sich das Zickzacklaufen zwischen den lehmigen Pfützen. Alle waren sie ärmlich gekleidet. Und trotzdem hatten die meisten noch die Energie, zu

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