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Die guten Schwestern

Die guten Schwestern

Titel: Die guten Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Davidsen
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andere Papiere und meine Bücher in den Koffer zu legen. Als Handgepäck wollte ich so wenig wie möglich tragen. Es tat höllisch weh, auf die Beine zu kommen, und die Schmerzen jagten wieder durch meinen Rücken. Das war der Tropfen, der das Faß zum Überlaufen brachte. Mein Entschluß stand fest. Als er mit Packen fertig war, sagte ich:
    »Ich fahre nicht mit nach Budapest.«
    »Ach, komm«, sagte der gefühllose Kerl. »Das geht schon vorüber.«
    »Es tut weh, Lasse. Ich ertrage den Gedanke nicht, stundenlang in einem Bus zu hocken und dann in Budapest mehrere Tage mit Vorträgen und auf schlechten Stühlen verbringen zu müssen.«
    »Es sind nur zwei Nächte.«
    »Ich buche einen Flug nach Hause, laß meinen Koffer einfach stehen, die Leute vom Hotel sollen mir helfen.«
    »Das tut mir wirklich leid, aber vielleicht ist es das Klügste. Janne und die Kinder werden sich auch freuen. Machen sie sich keine Sorgen um dich?«
    »Ich kann sie nicht erreichen.«
    »Ach ja? Wo sind sie denn?«
    »Das weiß ich ja eben nicht, verfluchte Unzucht!« rief ich unnötig gereizt.
    »Nichts für ungut, Teddy«, sagte er.
    »Ja, entschuldige. Aber ich hätte gern mit Janne geredet.«
    »Rufst du oft zu Hause an?«
    »Und du?«
    »Jeden Tag. Das heißt, wenn Lisbeth zu Hause ist.«
    »Jeden Tag! Ich habe einmal angerufen. Für diese ganze Telefoniererei fehlt mir einfach das nötige Kleingeld.«
    Er lachte und schlug mir aus alter Gewohnheit auf die Schulter. Es war ein Gefühl, als würde mir jemand in den Rücken springen, und ich stieß einen lauten Fluch aus. Er sah ganz verschreckt aus.
    »Entschuldigung, Teddy. Das wollte ich nicht.«
    »Ist egal. Komm, laß uns runtergehen und frühstücken«, sagte ich und versuchte, einige zögerliche Schritte zu machen und trotzdem eine gewisse Würde zu bewahren. Er faßte vorsichtig meinen Arm und stützte mich.
    »Warum schafft ihr euch kein Handy an?« sagte er.
    »Janne meint, es sei nicht nötig. Die Leute benutzen es sowieso nur, um aus dem Supermarkt anzurufen und zu fragen, ob noch genug Milch im Kühlschrank ist.«
    »Ist schon schön, so was zu haben«, sagte dieser praktisch veranlagte Kerl, und dann hinkte ich zu dem verschwenderischen Frühstücksbüffet hinunter und trank ein paar Tassen Kaffee und etwas Saft, aber den Teller ließ ich unberührt stehen. Im Übermut hatte ich ihn mit Rührei, Schinken und Würstchen beladen. Morgens esse ich nie viel, aber in Hotels muß man sich offenbar alles mögliche auf den Teller schaufeln, nur weil das Frühstück im Übernachtungspreis inbegriffen ist. Lasse aß mit großem Appetit: Eier, Schinken, Brot und Würstchen, was er normalerweise nie anrühren würde. Dabei las er die Herald Tribune von gestern, die das Hotel neben vielen anderen westlichen Zeitungen führte. CNN auf dem Zimmer. The Trib in der Rezeption. Es gab keinen Grund, sich nach der alten Zeit zu sehnen, wo nur die kommunistischen Lügen zu kriegen waren und man über eine zwei Wochen alte Ausgabe von L’Humanité glücklich sein konnte.
    Wieder hatte ich Probleme, mich zu erheben. Ich mußte mich zusammennehmen, ehe ich es überhaupt probierte. Wenn ich ganz still saß, tat es nicht weh, aber ich wußte, wenn ich mich wieder hinstellen würde, kehrte der Schmerz zurück. Das Schlimmste war nicht der Schmerz, sondern die Furcht und die Gewißheit, daß er kommen würde. Und daß ganz alltägliche Bewegungen plötzlich zu einer unlösbaren Prüfung wurden. Ich bemerkte die Blicke, die mir die Mitreisenden zuwarfen. Ich mußte ihnen wie ein Mann erscheinen, dem der Alkohol vom Abend zuvor noch in den Gliedern saß. Ein Mann, der sich nur langsam wieder aufrappelte und sich auf die Stuhllehnen stützen mußte, um sich überhaupt auf den Beinen zu halten. Mir war das Wurscht. Sie konnten mir alle gestohlen bleiben: die Kollegen und die kulturellen Kurgäste sowie ihre ständigen Versuche, weltgewandte Unterhaltungen anzukurbeln, die beweisen sollten, daß sie auf dem laufenden waren.
    Natürlich war Delegationsleiter Brandt sauer. Er haßte es, wenn seine Planungen nicht auf Punkt und Komma eingehalten wurden. Er hätte sich im alten Gosplan in Moskau wie zu Hause gefühlt, wo vom Atomkraftwerk bis zum kleinsten Kinderstrümpfchen alles ausgerechnet wurde. Daß die Pläne nie wasserdicht waren, konnte den Planern egal sein. Sie verschoben dann einfach die Zahlen und Buchstaben ein bißchen.
    »Also, Teddy. Ich kann dir deine Fahrkarte oder dein Hotelzimmer nicht

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