Die guten Schwestern
nicht der Fall. Ich ging ins Internet und fand die Reportage, in der sie zu sehen gewesen war. Es gab keinen Zweifel. Das war sie. Lasse schlug vor, ich solle auch die Nachrichtensendungen von TV 2 durchforsten. Die benutzten oft dasselbe Agenturmaterial. Ich sah selten TV 2. Ich war mit Danmarks Radio aufgewachsen und konnte die Kollegen in Odense daher immer noch nicht ernst nehmen. Die Art und Weise, wie sie die Zuschauer ansprachen, war mir einfach zu burschikos. Also wieder ins Netz. Und Lasse der Kluge hatte recht. Sie war in zwei Reportagen dabei. In der einen sah es aus, als hätte sie irgendeine offizielle Funktion. Jedenfalls wies sie in eine Richtung, und zwei Männer folgten ihrer Weisung. Später waren die beiden Männer wieder da und standen vor ihr, als ob sie Bericht erstatteten. Aber der Film war ohne Rücksicht auf die Chronologie geschnitten, so daß es auch umgekehrt sein konnte. Die Frau diente nur als Staffage für die Klischees der Journalistin über die armen Flüchtlinge. Ich glaube, die Reporterin in ihrer modischen Kleidung benutzte den Ausdruck »menschliche Katastrophe« achtmal. Fast ebensooft bemerkte sie, daß Albanien Europas ärmstes Land ist. Erst präsentierte sie eine Reportage, danach stand sie im Bild, während der Moderator unbegabte, selbstverständliche Fragen stellte und nach Herzenslust spekulierte, aber so sah modernes TV halt aus.
Ich rief Fritz an und erzählte ihm die ganze Geschichte von der Frau in Preßburg. Ich konnte ihn durch die Leitung drüben in Fünen schnaufen hören, seine schweren Atemzüge verrieten mir, daß ihn die Geschichte überraschte und auch wieder nicht überraschte. Er war ganz allgemein ein schwerfälliger Mann, es war schwer, an ihn heranzukommen. Seinen Gefühlspanzer zu knacken, darin war ich kein Meister. Als ich meinen Bericht beendet hatte, sagte er exakt das, was ich erwartet hatte.
»Da solltest du lieber mit Irma drüber reden, Teddy.« Sein singender fünischer Dialekt ließ alles, selbst die ernstesten Themen, wie eine Operette klingen, aber ich merkte, daß ich etwas angesprochen hatte, was ihn zumindest unruhig machte.
»Mensch, Fritz. Irma sitzt im Gefängnis. In Isolationshaft. Ich kann nicht einfach den Hörer nehmen und sie anrufen, klar?«
»Ich finde, es wäre am besten.«
Ich wurde sauer.
»Jetzt gib mir endlich eine Antwort! Ist die Geschichte wahr? Habt ihr mir was verheimlicht?«
»Du warst noch so klein, Teddy. Du hattest mit dieser Zeit nichts zu tun. Du warst ja nicht mal auf der Welt.«
»Haben wir wirklich eine Halbschwester da unten?«
Er machte eine lange Pause.
»Davon weiß ich nichts«, sagte er dann, aber es klang gelinde gesagt nicht überzeugend.
»Was weißt du dann, Fritz?« fauchte ich.
»Die Sache mit Vater. Das ist wohl wahr…«
»Was ist wahr?«
»Vater war mit an der Ostfront. Er war auch Parteimitglied. So, nun weißt du’s.«
Wie gelähmt stand ich da und hielt den Hörer in der Hand. So was im reifen Alter einfach an den Kopf geworfen zu bekommen! Daß der eigene Vater Nazi und SS-Mann gewesen war. Prost, Maxe! Daß etliche Familien eine Leiche im Keller haben, ist ein ausgelutschtes Klischee, aber das hier war nun wirklich heftig. Das mit der NS-Vergangenheit hatte ich ja irgendwie geahnt, aber von der andern Sache hatte ich keinen blassen Schimmer gehabt.
»Das heißt, er ist nicht in Hamburg gestorben, wie ihr immer behauptet habt?«
»Ich weiß es nicht, Teddy. Eigentlich habe ich das geglaubt. Für mich ist er gestorben, als er von zu Hause wegging. Es ist besser, wenn du mit Irma darüber redest.«
»Warum habe ich nichts erfahren?«
»Du warst noch so klein, Teddy«, wiederholte er. »Du warst ja nicht mal auf der Welt. Du hattest mit damals nichts weiter zu tun.«
»Und deshalb durfte ich an diesem Familientrauma nicht teilhaben?«
»Du gebrauchst immer so viele vornehme Worte. Aber ich bin nicht dumm. Meine Talente liegen einfach woanders als bei dir und Irma«, sagte er und diesmal sehr schnell.
»Warum habt ihr mich von dem Familiendrama ferngehalten?« sagte ich.
»Du warst noch zu klein. Es hatte eigentlich gar nichts mit deinem Leben zu tun«, sagte er noch einmal.
Ich wartete darauf, daß er noch mehr sagte, aber das tat er natürlich nicht, also stellte ich die Frage:
»Mußte deshalb die Bäckerei schließen?«
»Die Leute fingen an zu tratschen. Du weißt, wie die Leute tratschen.«
»Nein, weiß ich nicht. Ich lebe in einer Großstadt. Hier gibt es
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