Die guten Schwestern
keinen, der tratscht«, sagte ich aus altgewohntem Sarkasmus und schaute mit dem Hörer am Ohr auf die Stadt, die sich gleichsam vor meinen Augen verflüchtigte. Teddy mit Telefon erfährt von der Vergangenheit, könnte das Bild heißen.
Ich fragte ihn aus, aber er war nicht sehr mitteilsam. Er verriet, daß unser Vater SS-Offizier gewesen war. Nach dem Krieg wurde er zu zweieinhalb Jahren verurteilt, weil er sich hatte anwerben lassen, wurde aber nach einigen Monaten freigelassen. »Jemand« habe ihm geholfen, als selbständiger Bäcker anzufangen. Als ihn Anfang der fünfziger Jahre die Rache ereilte, wie Fritz sich ausdrückte, ging er von zu Hause weg. Über die Sache mit der Tochter und dem Leben in Jugoslawien müsse ich allerdings mit Irma sprechen. Darauf könne er nicht eingehen. Ich wurde das Gefühl nicht los, daß er mir etwas verheimlichte, aber ich wußte auch, daß ich nicht weiter in ihn dringen konnte. Ich wechselte das Thema.
»Ich habe einen sehr guten Anwalt engagiert, Kenneth Graversen…«
»Ich hab ihn im Fernsehen gesehen«, sagte die Stimme aus Fünen. Das schien für ihn ein Gütezeichen zu sein, aber Fritz waren die Akteure des täglichen Medienzirkus ja auch nicht bekannt. Wo sich alle gegenseitig kannten und das einzige, was sie interessierte, das Image war, nicht die Wahrheit.
»Er ist teuer«, sagte ich dann.
Wieder entstand eine dieser langen Pausen, in denen ich ihn nur atmen hörte, aber dann kam es:
»Das ist kein Problem. Ich kann schon dafür aufkommen.«
»Keine Ahnung, ob Irma einen Notgroschen hat, ich jedenfalls nicht.«
»Das werde ich regeln«, sagte er mit einer gewissen Freude in der Stimme. Endlich eine Sache, die Bäcker Fritz deichseln konnte. In der er uns andern überlegen war. Er hatte schlicht das nötige Geld im Sparstrumpf oder heutzutage wohl eher genug Papiere im Depot.
»Damit werde ich den Rechtsverdreher erst mal beruhigen«, sagte ich, aber das ließ ihn schnell reagieren.
»Das laß mich mal machen«, sagte er mit einer Entschlossenheit, die verriet, daß er wirklich genug Geld hatte. Er war nicht reich geworden, weil er ein Dummkopf war. Im Gegenteil. »Gib mir seine Nummer, dann spreche ich mit ihm. Dann reden wir über die Sache.« Ich verstand. Er wollte für Irmas Verteidigung bezahlen, aber erst einmal wollte er über den Preis verhandeln. Es gab keinen Grund, daß ein Kopenhagener Anwalt die Familie über den Tisch zog. Ich suchte die Nummer heraus und diktierte sie ihm. Dann entstand wieder eine der langen Pausen. Ich mußte daran denken, daß wir eigentlich wie Fremde waren, obwohl wir doch zusammen aufgewachsen waren und uns immer zu den Anlässen gesehen hatten, zu denen sich dänische Familien treffen: Konfirmation, Hochzeit, Beerdigung. Erst in der Kirche, später beim Festmahl. Aber im Grunde kannte ich ihn nicht. Er wurde 1943 geboren. Irma 1940. Das paßte zur Ehe unserer Eltern. Sie verlief, wie es im Buche stand. Endlich konnten sie ohne Angst bumsen. Ja, es war fast ein Naturgesetz gewesen. Fritz und 1943, das mußte in Vaters ersten Heimaturlaub gefallen sein, wenn ich an die Geschichte der Besetzung dachte. Das Freikorps Danmark dachte, es müsse heim, um das Vaterland zu erobern, dabei wurden seine Mitglieder von den meisten verstoßen, außer vermutlich von der engsten Familie. Ich bin 1948 geboren. Ein dreiviertel Jahr zuvor war er nach Hause gekommen. Oder zumindest freigelassen worden. »Er«, das war mein Vater. Eine Gestalt, zu der sich zu verhalten Teddy ein bißchen schwerfiel. Wenn die Frau in Preßburg etwas anderes als eine Fata Mongana in einer mystischen Wüste war, dann muß sie 1944 geboren sein, schließlich war unser Vati Ende ‘43 mit der Division Nordland in Jugoslawien gewesen. Der Alte hatte einen fruchtbaren Samen. Nicht wie die jungen Leute von heute. Die Vergangenheit war einerseits ein unverständlicher Bastard und andererseits eine ganz konkrete Datenbank, wo um bestimmte Daten nicht so einfach herumzukommen war.
»War Vater in Jugoslawien?« fragte ich.
»Er war an der Ostfront«, sagte Fritz nach einer längeren Pause.
»Das ist ein weiter Begriff, Fritz.«
»Vielleicht. Ich finde, du solltest mit Irma sprechen.«
»Das kann ich doch nicht, verdammt noch mal. Antworte mir endlich!«
»Ja, ich glaube.«
Und wieder eine lange Pause. Die einzigen, die dieses Gespräch sicher toll fanden, waren die Typen von der dänischen Telefongesellschaft. Die Minuten verstrichen, die Einheiten tickten,
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