Die guten Schwestern
Botschaften zu handeln, die in so verschiedenen Städten wie Oslo, Moskau und Beirut lagen. Es waren eher unschuldige Rapporte über die dänische Ölpolitik. Aber für das große ölproduzierende Land Sowjetunion waren sie von Interesse gewesen. Wie sich Dänemark zur Stationierung neuer amerikanischer Mittelstreckenraketen in Europa verhielt, war sehr vertraulich. Es ging um den sogenannten Doppelbeschluß von 1979, als die NATO als Gegengewicht zu den enormen sowjetischen Arsenalen an SS-20-Raketen atombestückte Pershing-Raketen und Marschflugkörper aufstellen wollte. Es war ein riesiger politischer Kampf gewesen. Der Beschluß hatte der schlummernden Friedensbewegung wieder Leben eingehaucht.
Auch Dänemarks Beurteilung der unabhängigen Gewerkschaft Solidarität wurde in Ostberlin sowie in Moskau gelesen, das das Material des dänischen Agenten natürlich auch gern hatte einsehen wollen. Dann änderte sich der Charakter der Berichte. Sie handelten jetzt mehr von den Verhältnissen innerhalb der EWG. Wirtschaftliche und politische Einschätzungen. Edelweiß wurde ehrgeiziger. Berichtete nun auch über die Absichten und politischen Überlegungen der Großmächte Frankreich und Großbritannien. Dann kamen wieder Berichte aus dem dänischen Außenministerium. Viel Wirtschaft, aber auch politische Einschätzungen der neuen bürgerlichen Regierung. Und ein Bericht darüber, ob und wie der Versuch, auf die Sicherheitspolitik der dänischen Sozialdemokratie einzuwirken, Früchte getragen hatte. Über die Notwendigkeit, die Friedensbewegung zu infiltrieren, damit die Kräfte, die den Sozialismus kritisierten, in Mißkredit gebracht oder ausgeschlossen wurden. Dann wechselte der Schauplatz wieder, und Edelweiß berichtete über NATO-Angelegenheiten. Wieder ging es um Politisches, aber es gab auch Berichte, die zu beweisen schienen, daß Edelweiß Zugang zu höheren Geheimnisstufen bekommen hatte. Die Berichte enthielten Informationen über die Strategie der NATO, die so klassifiziert waren, daß bestimmte Passagen noch heute geschwärzt werden mußten.
Toftlund blickte auf.
»Ich muß schon sagen. Ich hab hier einen dicken Fisch an der Angel.«
»Du bist noch nicht beim Schlimmsten angelangt«, sagte Vuldom.
Und einer der Berichte schien auch Toftlund eine ziemlich ernste Angelegenheit zu sein. Es war ein Bericht von zwei dänischen Offizieren, die 1987 in Estland wegen Spionage festgenommen worden waren. Aus den Unterlagen ging hervor, daß Edelweiß für die Informationen, die zu ihrer Verhaftung geführt hatten, eine Prämie von 25 000 DM erhalten hatte. Toftlund konnte sich noch gut an den Fall erinnern. Er war damals noch bei den Kampftauchern gewesen, so daß er keine Insider-Informationen über die Affäre hatte. Die dänischen Medien hatten die ganze Sache bagatellisiert, obwohl beiden Offizieren die Todesstrafe oder jedenfalls eine sehr lange Haft drohte. Die Sozialdemokraten und die linken Parteien hatten in der Fragestunde des Folketings von der Regierung das Eingeständnis gefordert, daß die beiden vom Staat ausgesandte Spione gewesen seien. Aber das wäre Wahnsinn gewesen. Sie hatten ohne diplomatische Immunität operiert. Glücklicherweise hatte der liberale Außenminister einen kühlen Kopf behalten, obwohl mit dem Leben der Agenten Vabanque gespielt wurde. Natürlich wollte er das nicht bestätigen, während noch daran gearbeitet wurde, die beiden freizubekommen. Schließlich wurden sie freigekauft. Die kommunistische Sowjetunion verkaufte ihre Geiseln wie eine gemeine Mafiaorganisation. Ihre Namen und Fotos waren in den Zeitungen und im Fernsehen, das die Aufnahmen vom estnischen TV bekommen hatte, wo sie vor einem Militärgericht aussagen mußten. Ihr Leben war zerstört, auch wenn sie einer langjährigen Haft entkamen. Aber darum konnten die Medien sich nicht kümmern. Hier ging es nur um falsche Bärte und dunkle Brillen. Nichts Ernstes.
Irgendwie schienen Dänemarks Verpflichtungen als NATO-Mitglied an der Ostsee im kalten Krieg nie ernstgenommen worden zu sein, dachte Toftlund. Auch nicht, daß dem Militärischen Nachrichtendienst entweder durch die Abhörstation auf Bornholm oder durch sein Agentennetz eine wichtige Rolle zukam, wenn es darum ging herauszufinden, was sich in den geschlossenen Diktaturen abspielte. Weil Abweichungen vom Normalbild doch letzten Endes über Krieg oder Frieden entscheiden konnten. Das hatten nur wenige verstanden. Dänemark hatte professionell Nachrichten in
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