Die guten Schwestern
Hotel in Prag habe ich erst für morgen reserviert.«
Sie lächelte ihn an. Erst jetzt bemerkte er, daß sie eine schöne Frau war, besonders wenn sie noch ein bißchen von ihrem Make-up abwischen würde. Sie hatte dunkles, welliges Haar, große braune Augen, einen kleinen, sinnlichen Mund und eine süße Stupsnase.
»Wenn Sie so nett wären, mir Ihre Reservierung zu geben, dann werde ich das auch regeln«, sagte sie beinahe flirtend.
»Was für ein Service!«
»Wir strengen uns an, wir strengen uns an«, sagte sie und schaute auf sein Ticket. »Wir strengen uns an, Herr Toftlund. Wir möchten so gern ein Teil von Europa sein.«
»Das dauert nicht mehr lange.«
Sie hob den Telefonhörer, um mit den Formalien anzufangen, sandte ihm ein kleines Lächeln und sagte fast resigniert – als könnte er, der seine Schäfchen im trockenen hatte, nicht verstehen, welche Hürden sie noch auf dem Weg in jenes Europa sah, von dem die Generation ihrer Eltern sie abgeschnitten hatte:
»Vielleicht. Wenn wir dafür arbeiten. Aber wir Slowaken haben gelernt, die Dinge nicht als gegeben anzusehen. Immer gibt es einen, der es anders will.«
13
T oftlund war einer der Dänen, die nie in Prag gewesen waren. Dabei waren die Dänen seit dem Zusammenbruch des Kommunismus, angeführt von bierdurstigen Gymnasiasten, tausendfach in die tschechische Hauptstadt gepilgert. Es war billig. Und die Dänen fahren gern dorthin, wo man für billiges Geld essen und trinken kann. Und dann war Prag ja zumindest anfangs auch noch ein bißchen exotischer als Mallorca. Die Stadt sagte Toftlund erst einmal nichts. Natürlich, die Gebäude waren schön, aber alles vermittelte den Eindruck, als wäre es auf Touristen angelegt. Junge Leute in frisch geschneiderten Trachten verteilten in der Innenstadt an jeder zweiten Straßenecke Werbezettel. Jedenfalls kam kein Zweifel daran auf, daß Mozart sich in der Stadt aufgehalten hat. Die verkleideten, zudringlichen jungen Leute wedelten einem mit gelben Zetteln vor der Nase herum, auf denen Mozartmusik wie zu Mozarts Zeiten versprochen wurde. Toftlund war das ziemlich Wurscht. Er interessierte sich weder für Mozart noch sonst für klassische Musik. Er stand immer noch auf Rock. Genau genommen hörte er selten andere Musik als die, die gerade aus dem Autoradio kam, und konnte es eigentlich nicht verstehen, wenn Lise zu Hause im Wohnzimmer eine CD einlegte und einfach zuhörte. Ohne etwas nebenbei zu machen. Das war doch verschwendete Zeit. Nun hatte man freilich den Eindruck, als würden auch diese jungen Leute ihre Zeit verschwenden. Zwar nahmen die Passanten ihre Werbezettel, aber als sie vom Wind in Bündeln herumgeweht wurden, sah es aus, als segelten die meisten ungelesen auf das Kopfsteinpflaster herunter. Es war ein furchtbarer Dreck. Es war eine seltsame Erfahrung, daß man durch diese Straßen ging und fast alle etwas anderes als Tschechisch sprachen. Deutsch, Dänisch, Schwedisch, Norwegisch, Englisch, Japanisch. Irgendwann ging er an ungefähr fünfzehn jungen Männern vorbei, mit häßlichen Hosen und dicken Wänsten. Unter ihren vollkommen gleich aussehenden gefütterten Jacken trugen sie weiße T-Shirts, auf denen stand: Bier formte diesen dänischen Bauch. Es war unerträglich. Prag zog Leute an, die Mozart liebten und betrogen wurden, und Leute aus steuergeplagten Ländern, die die Bierpreise im Auge behielten, so wie ein Börsenhai die Kurse verfolgt. In dieser Stadt sind nichts als Touristen, dachte Toftlund, als er auf die Karlsbrücke zuging, die er auf seinem Plan gefunden hatte. Das Gemenge auf den Straßen an so einem kühlen, windigen, frühen Frühlingstag war ihm nur recht. Er huschte in ein Geschäft und wieder hinaus. Überquerte schräg einen Hof, der von frisch renovierten Restaurants umgeben war, und kam auf eine längere, von knospenden Bäumen bestandene Avenue. Zehn Jahre nach der Wende erlebte man an den Häuserfronten noch immer harsche Kontraste. Ein altes Palais, an dem Putz und Farbe abblätterten, mußte sich an ein schickes, frisch gestrichenes lehnen. Mit der Tatsache, daß Geschmack und Können der Kommunisten jämmerlich waren, wurde er auf Schritt und Tritt konfrontiert. Es lag Regen in der Luft, aber es blieb noch trocken. Er studierte die bizarre Auslage eines Pornoshops und blieb vor einem feinen Juweliergeschäft mit blank geputzter Scheibe stehen. Die Kirchtürme erhoben sich über seinem Kopf. Als er den Rathausplatz erreichte, war er sich ziemlich sicher,
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