Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die guten Schwestern

Die guten Schwestern

Titel: Die guten Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Davidsen
Vom Netzwerk:
konnten sich die Leute nur so ausnehmen lassen? Und dann das, was Toftlund haßte: Alle zehn Meter irgend so ein Straßenmusikant oder gleich eine ganze Gruppe mit Hut auf der Erde, die Katzenmusik veranstalteten. Mochte ja sein, daß Prag die Stadt Mozarts war, aber auf der Karlsbrücke hätte Mozart einen Herzanfall erlitten. Soviel konnte sogar der ziemlich unmusikalische Toftlund heraushören, als er zur anderen Seite hinüber- und wieder zurückschlenderte: Diese Musik hätte Lise in den Wahnsinn getrieben. Wenn nicht sauber gespielt wurde, zum Beispiel im Autoradio, machte sie aus oder wechselte den Kanal. Ihr wurde einfach übel. Er bekam ein schlechtes Gewissen. Er hatte es nicht geschafft, sie heute früh anzurufen, und er hatte sein Handy ausgeschaltet. Wo sie gestern nur gewesen war? Er schüttelte den Gedanken ab, wie er einen lästigen Bettler abschütteln würde, der ihn nicht in Ruhe lassen wollte, und schlenderte die Karlsbrücke langsam wieder zurück.
    Die Spielregeln kannte er ja. Er war der Freier, aber in diesem Spiel war es der Umworbene, der sich zu erkennen geben mußte. Falls er an der Werbung überhaupt interessiert war, wenn es ernst wurde.
    Mitten auf der Brücke blieb er stehen. Am Fuße einer der Statuen stand an der Steinmauer ein Kasten. Er war schwarz gestrichen und hatte ein paar naive Sternchen und außerdem ein winziges Mikro auf einem Stativ. In der Größe einer Barbiepuppe. Neben dem Mikrostativ stand die Miniausgabe eines schwarzen Flügels. In dem Kasten lag auch ein künstliches Skelett, zirka einen halben Meter lang, aber sehr lebensecht, mit einem Hut. Per Toftlund schaute fasziniert zu, als das Skelett anfing, sich zu rühren. Ein jüngerer Mann, gekleidet im Stil der frühen sechziger Jahre, hatte ein Mikrofon in die Hand genommen und einen Ghettoblaster angestellt. Er hatte langes, fettiges Haar und einen zerzausten Bart wie die Männer auf Schwarzweißfotos Anfang der Siebziger. Jetzt konnte Toftlund die dünnen Fäden erkennen, die das Skelett mit dem Mann verbanden. Stimmte ja. Puppentheater war der Hit in Prag. Von den Flugblättern, die von den Jugendlichen verteilt wurden, warben eine ganze Menge auch für Puppentheater. Er meinte sogar, in der Schulzeit gelernt zu haben, daß die Tschechen es erfunden hätten. Jedenfalls pushten sie heutzutage ihre Puppen wie ein Drogenhändler seinen Stoff. Und offenbar rechneten sie damit, daß Touristen darauf abfuhren, jedenfalls wenn man von der Anzahl der Zettel ausging, die sie ihm in die Hand zu drücken versuchten. Puppentheater und Mozart. Dafür war Prag berühmt. Und für Kafka, erinnerte sich Toftlund plötzlich. Das war einer von Lises Lieblingsautoren. Er hatte einen Roman geschrieben, den er, wie sie sagte, unbedingt lesen müsse. Dann würde er verstehen, was Kafka hatte durchmachen müssen. Der Roman vermittele ein Bild davon, wie der Mensch wie eine Fliege im Spinnennetz weder ein noch aus wisse, weil unsichtbare Mächte Anklagen erhöben, auf die zu antworten ihm unmöglich sei. Wo einen allein die Tatsache, daß man überhaupt auf die Anklage einging und seine erste Antwort gab, schuldig machte, obwohl man im Grunde nie verstand, wessen man eigentlich angeklagt war. Der Roman, an dessen Titel er sich nicht erinnerte, lag noch immer mit dem Lesezeichen auf Seite vier auf seinem Nachttisch. Aber das war ja immerhin schon ein Anfang.
    Nun war der Hippie mit seinen technischen Vorbereitungen fertig, und das Skelett fing an zu sprechen. Er bewegte die Fäden, so daß der Mund mit den großen, gelblichen Zähnen lebensecht auf- und zuklappte, den Ton dazu lieferte die Kassette im Ghettoblaster.
    »Hello«, sagte das Skelett mit dem hohen schwarzen Hut, der auf und nieder wippte, »how are you all today?« Das Skelett sprach amerikanisch und erhob sich und bewegte sich in seinem Kasten und lockte damit die Touristen an. Es hatte Erfolg. Die Leute blieben stehen und schauten sich das merkwürdige Spektakel an. Es sah plastikhaft und lebendig zugleich aus. Wie ein Bild aus einem schlechten Schocker und doch mit einer Gefährlichkeit, die aufregend und verlockend war. Auch der tiefe Baß, der zwar aus dem Kassettenrecorder drang, aber perfekt zur Mundbewegung des Skeletts paßte wie in einem sorgsam synchronisierten Film im deutschen Fernsehen, auch dieser tiefe Baß hatte etwas Unheimliches.
    »Meine Damen und Herren«, sagte es, während seine langen, knochigen Finger in die Luft vor ihm zu zeichnen schienen, »so

Weitere Kostenlose Bücher