Die guten Schwestern
daß ihm niemand folgte. Wenn doch, waren sie jedenfalls äußerst professionell. Eine große Gruppe von Menschen glotzte auf eine Uhr, die von kolorierten Holzfiguren umgeben war. Sie sahen ein bißchen wie Gartenzwerge aus. Mußte wohl was Besonderes sein, wenn alle Welt dastand und glotzte, als erwartete sie ein Wunder. Er mischte sich unter die Menge. Auf dem Platz hielten einige Pferdedroschken. Auf den Café-Terrassen saßen Touristen unter den Markisen und Wärmestrahlern mit kunterbunten Stadtführern neben dem Kännchen Kaffee und schauten auf den Platz. Als wüßten sie nicht recht, was sie jetzt unternehmen sollten. Reisen mußte man ja nun mal, aber wenn man dann angekommen war und die anderen sah, die dieselbe Idee gehabt hatten, dann fragte man sich doch, was man eigentlich in Prag machte.
Toftlund blieb ein wenig stehen und tat so, als schaute er sich auch das Glockenspiel an. Nichts und niemand war zu bemerken. Weder unter den Steppjackentouristen noch unter den marktschreierischen Anbietern der örtlichen Musikszene erschien ihm jemand falsch oder auffällig. Er hatte sich den Stadtplan eingeprägt und ging nach links in Richtung Karlsbrücke. Als er die Brücke mit den großen Statuen vor einem massiven Turm erblickte, war es drei Viertel zehn. Er entschied sich, die ausgestreckten Hände mit den Werbezetteln zu ignorieren. Das war nicht wie in Indien, wo man um Geld bettelte. Hier bettelte man mit Reklame. Vielleicht kriegten sie eine Krone pro Zettel, den sie an den Mann gebracht hatten. Vor einer stark befahrenen Straße, die vor der Brücke entlangführte, stand ein Mädchen in einer alten Jacke. Sie hörte Musik auf ihrem Walkman und rauchte mit halb geschlossenen Augen eine Kippe. Sie hielt einen Stock mit einem Schild, auf dem für ein Foltermuseum und ein Internetcafé geworben wurde. Toftlund stellte sich neben sie und wartete. Er wartete, bis die rote Trambummelbahn fast auf seiner Höhe war, dann trat er schnell auf die Straße und mischte sich unter die Scharen der Fußgänger, die auf der andern Seite geduldig an der roten Ampel standen. Er hörte die Straßenbahn schrill klingeln und die Autos hupen. Rasch ging er rechts auf eine Kirche oder einen Konzertsaal zu. Er stellte sich hinter zwei große Männer in Volkstrachten, die mit den unumgänglichen Werbezetteln wedelten, die Konzerte und anscheinend welthistorische musikalische Erlebnisse ankündigten. Als die Straßenbahn vorbeifuhr, geschah nichts. Keiner hielt nach ihm Ausschau. Und vor allem versuchte niemand, sich durch den langsam rollenden Autoverkehr zu drängen. Nun fühlte er sich ganz sicher. Niemand beschattete ihn, und geruhsam schlenderte er auf die Brücke, damit Pavel Samson ihn entdecken konnte, wenn er den Kontakt aufnehmen wollte. Toftlund sah sich um. Er blickte von der Brücke, auf der es sogar jetzt am frühen Vormittag von Menschen wimmelte, zurück zu dem schweren Brückenturm und hinüber zu den Gebäuden auf der anderen Seite des Flusses. Überall konnte sich ein Pavel Samson mit einem Fernglas verstecken. In dem leicht verschleierten Licht erkannte er die Burg, den, wie er wußte, Sitz des Präsidenten, den sie das Schloß auf der Höhe nannten. Der Fluß war ruhig und braun. Eine Art Ausflugsdampfer wendete faul an der Brücke. Auch am Fluß sahen die Bäume aus, als warteten ihre Knospen nur auf ein Zeichen Gottes, damit sie aufsprangen.
Die Statuen faszinierten Toftlund, obwohl Kunst ihm selten etwas sagte. Es waren einige seltsam schwarze Gespenster mit verzerrten Mienen. Teufel- und Christusfiguren in unschöner Mischung. Könige und Sklaven. Verräter und Helden. Ohne jeden Sinn. Aber alle sahen sie aus, als würden sie leiden oder hassen. Das einzige, was ihnen gemein war, waren der seltsam verlockende Gesichtsausdruck und der Taubenmist. Sie beugten sich geradezu über die Brücke, und trotzdem lehnten sie sich zurück. Die Karlsbrücke war eine Fußgängerbrücke. Und eine Hochstaplerbrücke! Ein offener Markt für Touristenfallen. Ein Ort, wo der Clevere den weniger Cleveren über den Tisch zog. Ein Ort, wo die Fremden mit falschen Antiquitäten, merkwürdigem Stoff, schnell gemalten Bildern von der Burg und banalen Postkarten gelockt und dem Risiko ausgesetzt wurden, von jungen Kunststudenten gemalt oder karikiert zu werden. Und der uralten, aber offenbar immergültigen Schieberei, bei der arme Trottel raten sollten, in welcher von drei Streichholzschachteln sich eine Erbse befindet. Wie
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