Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die guten Schwestern

Die guten Schwestern

Titel: Die guten Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Davidsen
Vom Netzwerk:
in der NATO und der EU. Wir haben alte Agenten und Folterknechte, die davor zittern, daß die Archive die Wahrheit ausspucken könnten. Wir haben alles. Discountkapitalismus und anarchistische Freiheit vermischt mit autoritären Ansätzen. Das alles wird dann Postkommunismus genannt. Das Erbe von Lenins fehlgeschlagenem Experiment ist nicht so einfach loszuwerden.«
    Das hatte was von einer Rede, dachte Toftlund. Aber sie war interessant. Da mußte noch mehr kommen. Der Wind ergriff Samsons dünnes Haar und blies die sorgsam arrangierten Strähnen von seinem weißen Schädel. Er glich einem schlechtbezahlten Büroangestellten, aber hinter der vertrauenerweckenden Fassade witterte Toftlund eine gewisse Gefährlichkeit und Durchtriebenheit.
    »Ja, also, unser Freund in Polen meinte, Sie hätten mir was zu erzählen? Ihre Kollegen in Preßburg waren leider nicht sonderlich hilfsbereit.«
    Der kleine Mann schnaubte durch die Nasenlöcher.
    »Natürlich nicht. Die können sich beherrschen. Die haben Angst. Wie Sie vielleicht wissen, hat die Slowakei zur Zeit keinen Präsidenten. Sie hoffen, Mečiar gewinnt die nächste Wahl. Dann sind sie für eine weitere Periode gesichert. Gewinnt ein anderer, wer weiß, was dann geschieht. Könnte ja sein, daß ein neuer Präsident und eine neue Regierung tatsächlich meinen, was sie sagen. Daß die Sicherheits- und Nachrichtendienste sich für die Bürger und nicht gegen sie engagieren.«
    »Das meinen Sie?«
    »Vielleicht. Ich glaube nicht an sehr viel. Aber, Herr Toftlund, ich habe zwei halbwüchsige Töchter. Wenn man Kinder hat, kann man es sich nicht mehr erlauben, Misanthrop zu sein. Dann muß man an die Zukunft glauben. Daran, daß es irgendwo rechtschaffene Menschen gibt. Haben Sie Kinder, Herr Toftlund?«
    »Wir bekommen eine Tochter. In ein paar Wochen.«
    »Herzlichen Glückwunsch. Und Sie wissen, daß es ein Mädchen wird. Wie fortschrittlich.«
    »Moderne Technik.«
    »Sollte uns die Überraschungen aber nicht nehmen.«
    »Wir wollten gerne wissen, ob alles in Ordnung ist«, sagte Toftlund eigentlich gegen seinen Willen. Er war normalerweise kein Mensch, der mit Fremden über private Dinge sprach. Plötzlich verlor er auch die eigentliche Aufgabe aus den Augen und dachte an Lise, was ihn ein wenig verwirrte, so daß er nicht hörte, was Samson sagte. Der kleine Slowake lächelte, als ob er Toftlund genau durchschaute.
    »Es ist keine Schande zu zeigen, daß man seine Liebsten vermißt«, sagte er.
    Toftlund spürte, wie seine Irritation und sein Zorn wuchsen.
    »Ich glaube nicht, daß wir uns getroffen haben, um das zu erörtern«, sagte er. Samson aber ließ sich in seinen Gedanken nicht beirren.
    »Nehmen Sie mich. Warum sollte ich einem Polen und einem Dänen helfen? Seinerzeit kam ich zur Sittenpolizei. Dort kann selbst der Standhafteste mit der Zeit korrupt werden. Sex, Drogen und Geld. Das ist ein potenter Cocktail, der den stärksten Willen bricht.«
    »Ja? Warum?«
    »Meine Frau, meine Töchter. Um mich ein wenig an denen zu rächen, die mich aus dem Dienst entfernt haben. Um mir morgens in die Augen schauen zu können. Weil ich ein Dummkopf bin.«
    Samson hatte die Frage mißverstanden, aber Toftlund verfolgte den Gedanken nicht weiter und sagte statt dessen:
    »Das glaube ich nicht, daß Sie das sind.«
    Sie kamen an eine neue Brücke und schlenderten zum anderen Ufer zurück. Über diese Brücke fuhren Autos, es war eine Mischung aus alten osteuropäischen Wagen und glänzenden neuen Fahrzeugen von Mercedes, Audi und BMW. Eigentlich stand alles irgendwie im Gegensatz zueinander. Häuser, Autos, Menschen, die Luft, das Licht, die Stadt und die Zeit.
    Wieder gingen sie schweigend nebeneinanderher. Samson mit raschen, kurzen Schritten, so daß Toftlund oft einen Doppelschritt machen mußte, damit er ihm folgen konnte. Samsons Deutsch war schnell, genau und grammatikalisch korrekt, so etwa, wie man in der DDR gesprochen hatte, aber doch nicht ganz.
    »Sie sprechen gut Deutsch«, sagte Toftlund.
    »Einen Teil meiner Ausbildung erhielt ich bei unsern lieben Verbündeten in der untergegangenen DDR, mögen ihre Seelen in der Hölle schmoren.«
    »Warum haben Sie es dann getan?«
    »Das ist eine typische Westfrage. Als ob ich eine Wahl gehabt hätte.«
    »Alle haben eine Wahl.«
    »Ein bequemer Standpunkt für einen Menschen, der in selbstverständlicher Freiheit aufgewachsen ist. Eine Wahl zu treffen war schwerer, als Sie glauben. Ich habe noch einen Sohn aus einer

Weitere Kostenlose Bücher