Die guten Schwestern
früheren Ehe. Mein Mut ging nicht so weit, daß ich riskierte, zur Nichtperson zu werden und ihn und meine damalige Frau ausgestoßen zu sehen. Der Kommunismus war genauso effektiv darin, Leute auszugrenzen, wie diese fundamentalistischen Christen, die man in den USA findet. Ich versuchte, meine Interessen auf andere Weise zu verfolgen.«
Mit einem Mal verstand Toftlund. Er blieb stehen und ergriff Samsons Arm. Samson drehte sich zu ihm um und sah ihm ins Gesicht.
»Sie waren Doppelagent«, sagte Toftlund. »Sie haben für die Amerikaner gearbeitet.«
»Es waren zwar die Briten, aber sonst haben Sie recht.«
»Dann müßten Sie ja heute ein Held sein – und finanziell entschädigt worden sein.«
Samson stieß sein dünnes Fistellachen aus.
»Das Leben ist nicht so leicht. Keiner liebt einen Verräter, nicht einmal die Sieger. Und die Verlierer schon gar nicht. Hast du einmal etwas verraten, kann es auch ein zweites Mal passieren. Betrachten Sie mich als einen der vielen, die nach dem kalten Krieg auf der Strecke geblieben sind, Herr Toftlund.«
»So kann ich Sie nicht sehen«, sagte Toftlund und meinte es ernst. Das Leben eines Doppelagenten war die Hölle auf Erden. Konstant das eine zu sagen und das andere zu meinen. Nie zu wissen, ob man nicht vielleicht von den wohlwollenden Helfern und Überläufern der anderen Seite irgendwo in den langen Fluren der Führungsetage verraten wurde. Zu wissen, daß man nicht nur selbst jemanden verraten hatte, sondern daß es andere gab, die das gleiche tun konnten. Daß man eine Handelsware war, die jederzeit um- und ausgetauscht werden konnte. Daß man immer einen geheimen, inneren Raum hatte, zu dem nicht einmal die nächsten Angehörigen Zugang hatten. Daß die Archive den Namen aufbewahrten. Und daß dieser Name und dieses Aktenzeichen wie Krebsgeschwüre nur darauf warteten, immer größer zu werden. Sein Respekt vor dem kleinen Slowaken nahm zu. Hinter der blassen Angestelltenfassade verbarg sich ein zäher kleiner Kerl.
Samson blieb vor einem Caférestaurant stehen.
»Wir werden nicht verfolgt. Darf ich Sie auf eine Tasse Kaffee einladen?«
»Sehr gerne.«
Es war ein kleines, dunkles Lokal mit einer kurzen Holztheke und einem Dutzend Tischen und Stühlen. An einem Tisch saßen drei junge Männer mit einem großen Faßbier vor sich. Samson und Toftlund setzten sich an einen Fenstertisch. Sie saßen geschützt in einer Ecke, und die Gardine vor dem kleinen Caféfenster verdeckte ihre Gesichter, falls jemand Lust verspüren sollte, durch die Scheibe zu starren.
»Sie sind Slowake…«
»Eigentlich bin ich Tschechoslowake«, sagte Samson mit einem Lächeln und steckte sich eine lange Filterzigarette an. »Der Begriff existiert ja nicht mehr, aber eigentlich fühle ich mich als Tschechoslowake. Meine Mutter war Tschechin, oder, damit es noch komplizierter wird, Sudetendeutsche. Mein Vater war Slowake. Meine Frau ist die Tochter eines tschechischen Vaters und einer slowakischen Mutter. Heute sind wir, das gilt auch für meine Kinder, slowakische Staatsbürger. Das ist in diesen Gegenden hier ein bißchen kompliziert. Schon allein unsere Geschichte ist kompliziert. Kennen Sie sie?«
»Nicht besonders.«
»Nein, woher auch?« sagte er und fuhr fort: »Während des Zweiten Weltkriegs war die Slowakei ein nazistischer Vasallenstaat, offiziell jedoch unabhängig. Die Tschechei war besetzt. Nach dem Krieg deportierten oder inhaftierten die Tschechen die überlebenden Sudetendeutschen. Ein ziemlich dunkles Kapitel. 1948 kam der kommunistische Putsch. Mein Vater und meine Mutter haben das Ganze wundersamerweise überlebt, und in den Sechzigern, als ich meine Ausbildung machen sollte, war dieser Teil der Geschichte verziehen. Es wurden neue Kader gebraucht. Zu verzeihen fällt normalerweise nicht leicht. Aber Opportunismus und Zynismus waren bei den Kommunisten oft größer als ihr Wunsch, mehrere Generationen hintereinander zu bestrafen. Das war mein Glück.«
Die pummelige Bedienung brachte den Kaffee. Er war gut und stark.
Pavel Samson beugte sich über den Tisch und sagte:
»Sie interessieren sich für die Frau in Preßburg.«
»Ja. Die serbische Spionin.«
»Spionin, ja. Aber nicht serbisch. Sie hat viele Jahre für Tito gearbeitet. Seit 1990 war sie kroatische Spionin, aber das wußte Belgrad nicht. Die glaubten, sie arbeite für Milošević. Als sie die Wahrheit entdeckten, war ihr Leben kaum einen abgewerteten serbischen Dinar wert. Was also tut eine
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