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Die Habenichtse: Roman (German Edition)

Die Habenichtse: Roman (German Edition)

Titel: Die Habenichtse: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Hacker
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wußte auch nicht, wo der Kostenvoranschlag war. Vor dem Fenster flog eine Elster auf. Nebenan schrie der Mann, vermutlich brüllte er seine Frau und seinen Sohn an.
    Als es dämmerte, beschloß sie, nicht auf Jakob zu warten, sondern alleine in die Stadt zu fahren. Sie lief die Tottenham Court Road hinunter und weiter, bog nach links ab, Richtung Saint Martin’s Lane, der Himmel war mit mattem Orange bedeckt, die Schornsteine drängten sich zu dritt oder viert auf den Dächern, aus einer Pizzeria quoll eine Schulklasse, kichernd schwenkten die Mädchen ihre nackten Arme, und Isabelle folgte ihnen ein Stück, sah, wie eine von ihnen zurückblieb, um einen Jungen zu küssen, der viel älter war und fordernd sein Knie zwischen ihre Schenkel drängte. Weil sie noch nicht nach Hause wollte, lief Isabelle ein Stück die Oxford Street hinunter und fand in einem kleinen Laden rote Lederstiefel, in einem hellen Kirschrot, die sie kaufte. Der Abend und auch die nächsten blieben aber unbefriedigend. Die Stiefel standen im Eingang, kirschrot, während Isabelle wieder in ihre Turnschuhe schlüpfte, es war enttäuschend, nahe auch an einem Streit zwischen ihr und Jakob, der nur vermieden wurde, dachte Isabelle, weil sie kein Thema fanden, und beide waren dankbar, als Anthony vorschlug, sie sollten sich am folgenden Abend gemeinsam King Lear ansehen, in einem Theater, das provisorisch umgezogen war, aber eine der spannendsten Produktionen bot, und seine Stimme klang auf erleichternde Weise begeistert, er kurbelte etwas an, London, das Leben im allgemeinen, all das, was aufregend war, und so stürzte Isabelle, als sie ihn vor dem Theater mit den Tickets winken sah, auf ihn zu, überschwenglich. Der Anblick des Zuschauerraums befremdete sie, die Stühle, sehr dicht aneinandergestellt, ließen etwa die Hälfte des Raums frei, vor allem einen breiten Streifen vor der Bühne. Jakob kam verspätet, setzte sich neben sie und gab ihr einen flüchtigen Kuß, sein Oberarm streifte ihre Schulter. Ich verstehe nur die Hälfte, flüsterte Jakob ihr nach einer Weile zu, tastete nach ihrer Hand, während sie sich reckte, da sie hoffte, von den Gesichtern abzulesen, was ihr entging, zu begreifen, warum die Katastrophe unabwendbar war. Die Morde waren vollbracht, der Schmerz wurde zu einem schrillen, unerträglichen Ton. –Der Narr war der Beste, flüsterte Alistair zu Jakob, und da waren Lears Worte, er heulte, flehte – And my poor fool is hang’d! No, no, no life! Why should a dog, a horse, a rat have life, and thou no breath at all? Thou’lt come no more , und ein paar Zeilen später stürzten die Wände, lautlos erst, als wäre es nur eine Projektion, dann plötzlich mit Getöse, krachten da hin, wo die ersten Stuhlreihen hätten sein können, zerbarsten, wirbelten Staub auf und hinterließen ein Bild der Zerstörung, auf das beklommene Stille folgte, und dann noch einmal, dünn, die Stimme des toten Lear, Thou’lt come no more, never, never, never, never, never.
    Sie hörte es noch, als sie aufsprang, um vor den anderen hinauszulaufen, da fing sie am Ausgang der Narr ab, ein kleinwüchsiger Mann mit verbissenem Blick, folgte ihr, als sie auf die Straße drängte, und er murmelte, murmelte, dicht hinter ihr stehend, denn sie konnte nicht weg, sie wollte vorausgehen, aber wagte es nicht. Es klang wie ein Fluch. Die anderen kamen gutgelaunt heraus, zu dritt nebeneinander, drei großgewachsene Männer, von denen einzig Alistair sogleich den Narren sah und ins Auge faßte, –noch ein Verehrer! sagte er spöttisch zu Isabelle. Sie gingen in einen arabischen Imbiß, und als sie sich auf den Weg nach Hause machen wollten, war die letzte U-Bahn schon abgefahren, eben wurden vor den Eingängen die Gitter heruntergelassen, nur auf dem überdachten Vorplatz standen noch ein paar Nachzügler und Nachtschwärmer. Die Haltestelle des Nachtbusses war verlegt worden, keiner wußte, ob in die Pentonville Road oder Richtung Camden, und Alistair schlug vor, doch Richtung Camden Town zu laufen, die Straße war so leer, als wäre alles abgesperrt, sie liefen den York Way entlang, der schlecht beleuchtet war, und Isabelle hörte noch einmal die Stimme Lears, hörte den Narren murmeln. Sie ging vorneweg, sah fünf Männer auf der gegenüberliegenden Straßenseite aus einem der eingerüsteten Häuser auftauchen, die Straße überqueren, und da war die Bushaltestelle, provisorisch auf dem schmalen Bürgersteig, der nur Platz für einen bot, dort sammelten

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