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Die Händlerin von Babylon

Die Händlerin von Babylon

Titel: Die Händlerin von Babylon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suzanne Frank
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würden die Ochsen geschlachtet. Dann würden die Priester das Grab versiegeln, ein Vorgang, der mehrere Tage in Anspruch nehmen würde und je nach Ausgang der Sonnenfinsternis möglicherweise noch mehr Menschenopfer erforderte. Bis dahin musste Chloe aus dem Grab verschwunden sein. Bis sie den Brunnen außerhalb der westlichen Stadtmauer erreicht hatte, war sie ganz auf sich allein gestellt. Und sie musste die ursprüngliche Gruft, die unter dieser hier lag, durchqueren, um dorthin zu gelangen.
    Bei den Übrigen begann die Droge zu wirken: Ganz allmählich erstarben die kleinen Seufzer, das leise Schniefen, das Geflüster, die leisen Worte und zum Schluss das Lautenspiel.
    Mit klopfendem Herzen und schweißnassen Händen setzte Chloe sich auf. Das Lärmen über ihr würde die Geräusche hier unten übertönen. Eine der Zofen kniete direkt neben der Bahre. Vorsichtig setzte Chloe ihre Krone mit den Edelsteinblüten ab und stellte sie auf den Boden. Dann näherte sie sich dem Mädchen. Die Kleine atmete noch, wenn auch kaum hörbar. Ihre Pupillen waren geweitet und der Leib schwer.
    Chloe zupfte an ihrem Arm. Nichts. Daraufhin ging sie neben dem Mädchen in die Hocke, packte es im Feuerwehrgriff und schleifte es die zwei Stufen hinauf auf die Bahre, wo sie das Mädchen hinlegte.
    Die Landung war härter als von Chloe beabsichtigt. Inzwischen hatte das Mädchen die Augen geschlossen. Ob sie unter dem Einfluss der Droge stand, schon gestorben oder bei dem Aufprall ohnmächtig geworden war, vermochte Chloe nicht festzustellen.
    O Gott, gleich bin ich ganz allein unter lauter Toten.
    Sie setzte sich den Kranz ihrer Zofe auf, schmückte dann den Leib der Bewusstlosen mit ihren Perlen und ließ Puabis Siegel neben ihr liegen. Dann trat sie einen Schritt zurück, um die
    Wirkung zu prüfen, wobei sie um ein Haar auf den Becher des Mädchens getreten wäre. Mit zusammengebissenen Zähnen schloss sie die langsam steif werdenden Finger um den Stiel.
    Es dauerte eine ganze Weile, bis sie alles arrangiert hatte, länger als geplant; schon spürte Chloe die Wirkung der Droge, des Gegengiftes. Sie sackte in die Knie und kippte dann langsam vornüber. Ningal hatte ihr erklärt, dass ihr Körper gelähmt wäre, sie dabei aber vollkommen wach bliebe. Die Priester würden glauben, ihr Atem hätte sie verlassen und würde auch nicht wiederkehren. Ihre Augen würden nicht einmal auf helles Licht reagieren.
    Das hat wirklich was von Romeo und Julia, dachte sie.
    Chloes Körper schlief ein; er prickelte genauso, und sie war nicht mehr in der Lage, auch nur einen Muskel zu rühren. Ihre Knochen fühlten sich an wie festgelötet. Sie hätte schwören können, dass ihr Herz hörbar langsamer schlug.
    Der Erdboden über ihr vibrierte unter dem Dröhnen der Trommeln.
    Dann war alles still.

    Vollkommene Dunkelheit lag über dem Land. Der helllichte Tag schlug um in stockfinstere Mitternacht. Schreie und Rufe stiegen aus der Zuschauerschar auf, als die Nacht die Oberhand zu behalten schien. Das Lied der Vögel verebbte; die Tiere verstummten. Die Luft war kühl wie der Hauch in einer Gruft. Dann, ganz am Rand des schwarzen Runds, ein roter Blitz, gefolgt von einem winzigen Sonnenstrahl. Der immer breiter wurde. Der kalte Schatten des Gottesurteils gab das Gemeinwesen frei und floh zurück in den Himmel. Die Sonne hatte die Opfergaben des Mondes angenommen. In breiten Wellen ergoss sich das Licht über den Boden und die Gebäude; das Fangnetz, das die Götter über Ur geworfen hatten, wurde wieder weggezogen.
    Die Götter waren zufrieden gestellt.
    Ezzi starrte auf das Loch, das seine Mutter verschlungen hatte. In das er sie geschickt hatte. Was man selbst für gut befindet, ist für einen Gott von Übel, rief er sich ein Sprichwort ins Gedächtnis. Was der eigne Geist für schlecht ersinnt, ist gut für seinen Gott. Ezzi hatte lediglich die Anweisungen seiner Götter ausgeführt, und zwar zum Besten des Gemeinwesens. Ulu hatte dieses Opfer bringen wollen, um ihrem Leben wenigstens einen Anschein von Edelmut zu geben. Ezzi hatte den Göttern lediglich als Gefäß gedient - mehr nicht.
    »Woher sollen wir wissen, dass das nicht noch mal passiert?«, fragte eine leise Stimme. Die Frage knallte wie ein Donner-schlag in die Stille. »Welche Sicherheit haben wir?«
    Alle sahen auf den En Kidu. Er hob die Hände und sprach die rituelle Erwiderung:
    »Wird unser Haus ewig stehen?
    Bleibt ein Vertrag ewig bestehen?
    Bleiben Brüder ewig mit gleichen

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