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Die Händlerin von Babylon

Die Händlerin von Babylon

Titel: Die Händlerin von Babylon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suzanne Frank
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Sie stopfte sich den Becher in den Gürtel.
    Die Leiter hochzuklettern, schien Stunden zu dauern. Chloe hatte so gut wie kein Gefühl in Händen und Füßen. Der Gestank der entleerten Gedärme verschlug ihr den Atem. Schließlich hatte sie den Rand der Decke/des Bodens erfasst und zog sich hoch. Die Leiter schwankte und wäre um ein Haar umgekippt, doch Chloe konnte sie im letzten Moment abfangen.
    Sie lehnte die Holzstreben wieder an die Mauer und legte sich dann kurz hin, um Atem zu schöpfen. Sie bebte wie eine Palme im Sturm. Übel war ihr außerdem. Nach einiger Zeit setzte sie sich auf und schaute sich um.
    Ihre Umgebung bestand aus Rundungen. Mit farbiger Wolle bedeckte Hügel erstreckten sich zwischen ihr und dem Schacht. Bald würde sich unter diesen Umhängen neues Leben regen.
    Zwölf Stunden nach dem Todeszeitpunkt würden die ersten ausgewachsenen Maden erscheinen. Mein Gott, wieso muss ich sowas wissen? Ich wünschte, ich hätte keine Ahnung. Als ihre Mimi damals gestorben war, war Chloe der verrottende Leichnam in ihren Albträumen erschienen.
    Welcher Poet hatte das Gedicht »An seine scheue Dame« verfasst und darin über die Vergeblichkeit, die Tugend zu bewahren, sinniert, da jede Frau letzten Endes doch von Würmern erobert wurde? Ich hasse ihn, beschloss Chloe. Welcher Dichter war das gewesen?
    Und welche Autorin hatte über die während ihres Todes summende Fliege geschrieben? Irgendeine neuenglische Dichterin, die als invalide Einsiedlerin gelebt hatte. Die nie geheiratet und dauernd über den Tod geschrieben hatte? Emily ... nur welche Emily?
    Eine von den Brontes? Das war mal eine vom Tod besessene Sippe gewesen. Jane Eyre und das Feuer. Heathcliff, bei dem Cathys Geist ans Fenster klopfte.
    Drehte sich eigentlich die gesamte Schullektüre ausschließlich um den Tod? Der alte Mann und das Meer - Tod. Wem die Stunde schlägt - ein einziges Massensterben. Tod am Nachmittag - der Titel sagt schon alles. Der große Gatsby - bleibt da überhaupt wer am Leben? Der Dschungel - grässlicher Tod.
    Sind wir eine Nation von Besessenen?
    Sie hörte jemand tief einatmen und erstarrte.
    O Gott, da ist noch jemand am Leben.
    Sofort rollte sie sich in Fötusposition zusammen - genau wie alle anderen Leichen - und spitzte die Ohren.
    Fallender Dreck kann ohrenbetäubend laut sein, wenn man versucht, etwas ganz Leises zu hören wie das Rascheln eines Körpers auf einer Riedmatte oder das leise Klirren von Edelmetall bei einer winzigen Bewegung.
    Wenn wirklich noch jemand am Leben ist - was mache ich dann? Das war nicht eingeplant, Cheftu. Soll ich ihn mitnehmen und mit ihm oder ihr gemeinsam entkommen statt allein? Soll ich ... was soll ich nur machen? Umbringen kann ich diese Leute doch nicht. Sie haben es nicht weniger verdient, am Leben zu bleiben, als ich.
    Klirren von Juwelen; so laut, dass die Priester im Schaufeln innehielten.
    »Sollen wir noch mal nachsehen?«, fragte einer. Er flüsterte, doch der Schacht wirkte wie ein Megaphon.
    Bitte nein, flehte Chloe insgeheim. Die Taubheit hatte sich beinahe verflüchtigt - ihr Herzschlag war wahrscheinlich im ganzen Raum zu hören, und ihr Körper strahlte Wärme aus. Außerdem würden höchstwahrscheinlich ihre Pupillen reagieren. Ohnmächtig werden, ich muss ohnmächtig werden. Wie kann ich ohnmächtig werden ohne zu hyperventilieren? Und wie kann ich leise hyperventilieren? Außerdem liege ich am falschen Fleck! Ich bin ganz auf mich selbst gestellt!
    »Wie kommt ihr darauf, dass jemand überlebt hat?«, fragte ein anderer Priester. »Der En hat doch alle überprüft.« »Es hat sich so angehört, als seien sie aufgestanden und irgendwo angestoßen.«
    »Fragt den En.«
    »Warum macht ihr nicht weiter?« Cheftus Stimme war klar und deutlich zu vernehmen.
    »Da ist irgendwas in der Grube, Herr. Es hat sich angehört wie eine Bewegung. Ein Klirren und Scheppern.«
    »Die Leichen setzen sich«, antwortete Cheftu ganz ruhig. »Wenn die Leichen im Tod erst starr und dann wieder schlaff werden, gibt das manchmal Geräusche. Vor allem rund um den Schlitten, bei den Ochsen und den schweren Gaben. Das Opfer ist erbracht, macht euch keine Sorgen.«
    »Natürlich, Herr«, antwortete einer.
    »Ich will, dass dieser Schacht so schnell wie möglich bis zum Dach der Grube aufgefüllt ist. In zwei Doppelstunden müssen wir noch Getränke und Speisen darbringen. Dazu müssen wir erst mal einen Lehmboden legen.«
    »Natürlich, Herr, wir eilen.«
    »Die Götter werden euer

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