Die Händlerin von Babylon
Herumschleichen höllisch auf den Kot am Boden achten müssen. Keine Fußabdrücke zu hinterlassen war ein lebenswichtiges Detail, nur für den Fall, dass jemand zurückkam. Obwohl nach Cheftus Plan ein zweiter Besuch so gut wie ausgeschlossen war.
Jetzt kamen sie in ihre Nähe, in Puabis Gruft.
»Mir sind die Amulette ausgegangen«, sagte Cheftu. »In meinem Beutel sind noch mehr.«
»Wo ist der Beutel?«
»Beim Schlitten. Gib mir einfach die Fackel.«
Die Leiter herab, mit klimperndem Geschmeide, dann leise Geräusche, während er auf sie zukam. Sie spürte die Hitze der Flamme, sah Licht flackern.
Als er sie berührte, fühlte sich das für sie an, als würden seine Hände durch schwere Wolle über ihren Körper streichen. Er schloss Chloes Lider und drehte sie auf die Seite, arrangierte ihre Arme im rechten Winkel, ihre Beine in Fötus-Position und drehte zum Schluss ihren Kopf nach Norden. »Danke«, sagte er zu dem Priester, dann spürte sie, wie kleine Gewichte auf ihre Schulter und auf ihr Bein gelegt wurden. Erde regnete auf sie herab, nicht viel, aber symbolisch schwer beladen.
Am liebsten wäre sie schreiend aufgesprungen und hätte protestiert, dass sie noch am Leben war.
Sie dankte dem Himmel für die Droge, die ihr das unmöglich machte.
Die beiden Männern waren schon bei den beiden anderen Zofen und gelangten schließlich zur neuesten Ersatz-Puabi. Chloe nahm die Wärme des Staubes wahr, den sie mit ihrem Erdritual aufwirbelten. Ausgerechnet Puabi, die es am allerwenigsten verdient hatte, würde überleben. Und sie würde die Lorbeeren dafür einheimsen, dass fortan auch Frauen in die Schule gehen dürften. Wie ironisch.
Dann waren die Männer wieder verschwunden, aus der Grube geklettert und durch die Vorkammer davongewandert.
Wieder raschelte etwas, dann hörte sie das Schnaufen der Priester.
Chloe konnte die Geräusche nicht richtig einordnen, doch sie wusste, dass jetzt eine Tonne Gold, wahre Schätze von Möbeln mit Intarsienarbeiten, Truhen voller Kleider und Nahrungsmittel in die Kammer geschleift wurden, um die Götter gnädig zu stimmen. Götter, die man füttern und anziehen musste, die sterben und krank werden konnten, entsprachen nicht gerade Chloes Vorstellung von Göttlichkeit, doch für die Menschen hier waren die Götter ebensolche Lebewesen wie sie selbst, nur mit einer längeren Lebensspanne gesegnet.
Und mehr Macht.
»Noch etwas, En?«
»Nein, reich mir den Wein.« Cheftus Stimme war zu leise, als dass sie ihn wirklich verstehen konnte, doch sie hörte sich so ehrerbietig an, dass es Chloe nicht überrascht hätte, wenn er die Letzte Ölung erteilt hätte. Das sähe ihm ähnlich, bei einem heidnischen Menschenopfer nahtlos in ein katholisches Ritual zu wechseln. Tränen stiegen ihr in die Augen; dies war einer der Gründe, weswegen sie ihren Mann so liebte.
Erde kullerte in den Schacht, den die Geopferten hinuntergewandert waren. Von oben das leise Schlagen der Trommeln. Inzwischen war es wohl bald Abend; allmählich wich die Taubheit aus Chloes Gliedern. Sie öffnete die Augen zu Schlitzen. Dunkelheit, abgesehen von dem schwachen Licht aus dem Schacht, der mit Erdklumpen aufgefüllt wurde. Wie schwerer Regen fielen sie herab. Sie wurde lebendig begraben.
Gott sei Dank hatte sie noch keine Gewalt über ihre Stimme -andernfalls hätte sie vielleicht instinktiv aufgeschrien. Sie war allein unter lauter Toten und würde es noch lange bleiben. Immer mehr Erde rumpelte herab, doch es würde noch Stunden dauern, bis der Schacht so weit gefüllt war, dass sie in Sicherheit wäre.
Trotzdem musste sie sofort zur Tat schreiten, sie musste die wacklige Leiter hinaufklettern, solange es noch ging, bevor auch das letzte bisschen Licht verlöscht war. Mit knirschenden Gelenken setzte Chloe sich auf und brachte dabei die Erde und die Amulette in Bewegung. Beides fühlte sich an, als hätte man bleierne Gewichte auf ihrer Brust drapiert. Die zahllosen Halsbänder um ihren Hals, die jetzt zum Teil zu Boden fielen, waren wie schwere Fesseln, die sie an die Erde ketteten. Sie würde sich gleich übergeben müssen; schon schmeckte sie ätzende Magensäure in ihrer Kehle. Chloe schluckte schwer, dann noch einmal.
Endlich hatten sich ihre Augen an das Halbdunkel gewöhnt, und sofort wünschte sie, sie brauchte nichts zu sehen.
Ihre Zofen waren tot. Das Geräusch der herabfallenden Erdklumpen war wie ein tröstlicher Regen. Dort oben lebten noch Menschen, die diese Arbeit erledigten.
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