Die Händlerin von Babylon
um, den er ihr überreicht hatte. »Der Boden ist hohl?«
»Und mit Schwämmen gefüllt. Auf diese Weise läuft beim Kippen die Flüssigkeit durch das winzige Loch im Boden und wird von den Schwämmen im Stiel aufgesogen. Es wird so aussehen, als würdest du trinken, während du in Wahrheit gar nichts zu dir nimmst.«
»Na prima. Dann brauche ich mir nur noch über das Nepenthe und das Gegengift den Kopf zu zerbrechen.« »Vertraust du Ningal?« Er küsste sie auf den Kopf.
»Du?«
Er schloss sie fester in seine Arme. »Aus tiefstem Herzen.«
»Ich auch, allerdings eher mit Haut und Haar.« Sie küsste ihn auf den Bauch. »Wo wir gerade davon reden, deine neue Hülle ist wirklich, äh, super.« Ihre Hände berührten ihn, strichen kraftvoll und vielsagend über seine Haut.
»Als En kann ich dich nicht heiraten. Ich kann dir nicht mal treu sein. Der einzige Ausweg besteht darin, dass wir beide sterben«, sagte er.
Sie setzte sich auf und sah ihn an. Ein braunes Auge, ein grünes. Eigentlich hätte ihm das seltsam vorkommen müssen, doch es erschien ihm absolut normal. Ein oft zitiertes ägyptisches Sprichwort besagte, dass die Augen die Fenster zur Seele seien. Die vielen Reisen hatten sie verändert; inzwischen war sie je zur Hälfte eine Frau des Altertums und der Moderne.
»Alle beide?«, fragte sie.
»Ich werde alle meine Pflichten erfüllen und dann allem Anschein nach sterben. Die Bevölkerung wird das als göttliches Zeichen werten.«
Ein Lichtstrahl bohrte sich in Cheftus Auge; schützend zog er Chloe an seinen Leib.
»Shama?«
Der Alte winkte durch den Vorhang.
»Ich muss los, Chérie.«
»Kommst du wieder?« Chloe klang ungerührt, doch ihre Miene verriet, wie nervös sie war.
»Sie werden dich von den Menschen absondern«, sagte er.
»Bleibe ich hier?«
»Nein, du kommst zusammen mit den übrigen Frauen in den Tempelbau.«
Sie reichte ihm seinen Rock und den Gürtel. »Bist du noch da drin, in diesem Körper, Cheftu?«
Er wollte sich gerade das Halsband anlegen, erstarrte aber mitten in der Bewegung. »Schon, aber ein Teil von mir hat sich in Kidu verwandelt.« Er blickte auf den Verschluss, um ihn zu verhaken. »Genauer kann ich das nicht erklären.«
»Ich verstehe dich besser, als du glaubst.«
»Du kennst jetzt den Weg durch die Gruft, aber Chérie, du musst eine Zofe an deine Stelle setzen. Sie muss deine Krone und dein Geschmeide tragen.« Er atmete tief durch. »Pass auf, dass sie von zwei Frauen bedient wird. Und das alles muss erledigt sein, bevor ich in die Gruft komme.«
Ihr klappte der Mund auf. »Ich muss Leichen herumhieven? Und du hast es vorgezogen, bis zu diesem Moment zu warten, bevor du mir das eröffnest?«
Er ignorierte ihren Protest. »Du musst wie besprochen zum Brunnen kommen. Dort wartest du. Es kann einen Tag oder sogar mehrere dauern. Du musst dafür sorgen, dass die Szene in der Gruft überzeugend wirkt. Vielleicht kommen die Priester noch einmal zurück. Wir wollen keinen Verdacht erregen. Nimrod holt dich am Brunnen ab.«
»Und dann?«
Er küsste sie und näherte sich ihr dabei in einer flüssigen Bewegung, eingehüllt in ihren Duft aus Sesam und Granatapfel, alle Sinne erfüllt mit einer Glut, die ihm den Verstand raubte, mit erotischen Erinnerungen, Leidenschaft. »Dann suchen wir uns gemeinsam einen Ort zum Leben. Wir werden uns klammheimlich von hier absetzen. Uns unter die vielen mischen, die vor diesen Göttern fliehen und in andere Städte ziehen.«
Sie nickte; er konnte sie immer noch schmecken.
Die Liebe, die in Jerusalem zu einem, wenn auch tröstlichen, Bestandteil ihres Alltags verblasst war - gemeinsam aufzuwachen, einander vor Tagesanbruch zu lieben, sich abends in den Armen zu liegen und im Dunkel nacheinander zu tasten -friedvoll, ausgeruht, ruhig - brodelte jetzt in seinen Adern wie ein flüssiges Feuer, das ihn fortzureißen drohte. »Du bist mein. Wir bleiben zusammen.«
»Ja«, sagte sie, bevor sie seine Lippen fing und seinen Mund verschlang, bis sich seiner Brust ein kehliges Stöhnen entrang. Seine Hände umfassten ihren Hintern, liebkosten ihre Beine, bevor er sich unvermittelt losriss und Chloe vor sich hielt.
»Wir werden überleben. Vertrau mir.«
»Das tue ich doch ständig«, murmelte sie, gerade als der Vorhang hinter ihm zufiel.
Vier Doppelstunden später grollten die Trommeln. Chloe öffnete die Flasche mit dem von Ningal überreichten Mittel gegen das Nepenthe, flüsterte ein Gebet und schluckte das Zeug hinunter.
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